KN-11 -Terrestrische Navigation der einfachen Art - Kurseinflüsse

 

 verfasst 2012 - geändert am 15.05.2012

 

Welche Kräfte der Natur können bei einem Inselsprung den Seekajak-Kurs im Mittelmeer beeinflussen? In erster Linie sind das die klassischen Naturgewalten: Wind, Wellen und das Wetter. Zum Glück spielen die Gezeiten im Mittelmeer nur eine untergeordnete Rolle, so dass ich darauf nicht explizit eingehen muss.

 

Abgesehen vom Wind, der nachfolgend eigens behandelt wird, hat das Wettergeschehen keine direkten Auswirkungen auf eine Überfahrt. Allerdings können Sichtbehinderungen durch Nebel, Regen und Dunst die Einhaltung des Kurses stark behindern, weil der Sichtkontakt zum Ziel fehlt.

 

Winde sind nicht nur bei Seglern von großer Bedeutung. Das, was für den „Windling“ einen Vorteil darstellt, kann für einen „Wasserrührer“ zum Nachteil geraten, ja sogar zur Gefahr mutieren. In meinen Beitrag KW-01 - „Wetter-Regeln für Seekajaker“ habe ich die 12 gängigsten See-Wetterregeln, die sich meist auf die Segelschifffahrt beziehen und auch dort ihren Ursprung haben, an uns Paddler angepasst.

 

Bewegte Luft“ beeinflusst auch den Seegang. Je stärker der Wind, Sturm, Orkan, desto größere Dimensionen nimmt auch die „Windsee“ an. In meinem Beitrag KW-02 - „Wellen auf dem Meer und an der Küste“ habe ich aus zwei Büchern zitiert, die die Zusammenhängen von Wind und Wellen sehr gut beschreiben. Natürlich darf auch meine Version der Beaufort-Skala, Beitrag KW-03 - „Beaufort-Skala, einmal nicht in Tabellenform“ nicht fehlen, mit der man die Windgeschwindigkeit anhand von Wellenbildern abschätzen kann (siehe unten). Darin habe ich versucht, neben den reinen „technischen“ Daten auch die unterschiedlichen Beschreibungen für das Meer und das Land zu vereinen.

 

In einem konstruierten Beispiel möchte ich zur Anschauung nun die Einflüsse von Wind, Wellen und Wetter auf den Kurs verdeutlichen und aufzeigen, dass es immens wichtig ist, sich mit den Grundlagen der Seefahrt zu beschäftigen. Das Beispiel habe ich aus einer meiner Planungen für eine Seekajak-Tour in der Ägäis abgeleitet.

 

Man nehme folgendes Szenario an:

 

Ein junger Paddler, mit Boot und Equipment top ausgerüstet, hat bei seiner ersten Solofahrt auf dem Meer (Motto: Rund um Karpathos und Kasos) Ende Juli sein Lager in einer Bucht südlich, direkt unter halb des Nordost-Kaps der Insel Kasos aufgeschlagen. Er beabsichtigt zur nahegelegenen Nachbarinsel Karpathos hinüber- und dann am Ostufer entlang zum Hauptort mit gleichem Namen weiterzufahren, um seine zur Neige gehenden Lebensmittel zu ergänzen. Allerdings hat einer der üblichen Sommerstürme die Überfahrt verhindert und der Seekajaker sitzt bereits seit 4 Tagen fest.

 

Im Radio hört er im englischsprachigen Seewetterbericht, dass der Meltemi 7 bis 8 Beaufort (bft) erreicht hat und kurzzeitig die Fährschifffahrt eingestellt worden ist. Er sieht zwar weit draußen im Sund zwischen den beiden Inseln die gewaltigen Brecher, die durch den abgelenkten Nordwest-Sturm hindurchgetrieben werden, aber seine Bucht liegt geschützt im Windschatten des Nordost-Kaps, so dass er davon kaum betroffen ist.

 

Vier Tage lang hat er ein angenehmes, ruhiges Leben geführt. Allerdings sind jetzt seine Lebensmittelvorräte und das Trinkwasser nahezu aufgebraucht. Am fünften Tag hört er im Radio, dass der Sturm im Abklingen ist und bald wieder Normalität eintreten wird. Der Wetterbericht sagt auch am Ende der Sturmperiode die Möglichkeit eines kurzen Regenschauers voraus.

 

Der Seekajaker ist hungrig, seine Zunge kratzt am trockenen Gaumen und er entschließt sich deshalb notgedrungen, am nächsten Tag auf alle Fälle zur Nachbarinsel Karpathos hinüberzupaddeln, um seine Vorrätei m Hauptort aufzufüllen. Alternativ wäre noch der kleine Inselflughafen eine Option. Das nötige Trinkwasser könnte er auch an den zahlreichen Wind- und Kite-Surfer-Stationen bekommen, die im Süden von Karpathos wegen der idealen Windbedingungen (Düseneffekt im Sund, Meltemi-Fallwinde von den Bergen herab) sehr zahlreich entstanden sind.

 

Die Länge der Überfahrt zum Südkap von Karpathos beträgt 12,6 km. Sein GPS-System sagt ihm, dass von da aus bis nach Karpathos-Stadt nochmals 20 km vor im liegen. Insgesamt eine ganz normale Tagestour von rund 33 km. Das ist in 6 Stunden locker zu schaffen! Auf seinem GPS-Gerät stellt der Seekajaker den Kurs von seiner Bucht bis zum Südkap auf der Insel Karpathos ein. Das Gerät zeigt das erste Ziel in einer Entfernung von 12,56 km bei einem Kurs von 101,48 Grad an. Beruhigt legt er sich in sein Zelt. Morgen wird er gemütlich aufstehen, das Lager abbauen und alles in den Kajak verstauen. Er plant, gegen 10.00 Uhr loszufahren. Dann wird er so um 16.00 Uhr in Karpathos-Stadt sein. Zeit genug, um zum Einkaufen zu gehen und noch ein Kafenion aufzusuchen, für einen Espresso und einen Imbiss.

 

Wie geplant, startet der Seekajaker am nächsten Tag um 10.00 Uhr. Der Himmel ist zugezogen, der angekündigte Regen steht scheinbar kurz bevor. Draußen auf dem Wasser ist es relativ ruhig. Er bemerkt eine sehr hohe Dünung, die Ausläufer des Sturms der vergangenen Tage. Obendrauf setzten sich überall kleine Wellen mit weißen Kämmen. Vier Beaufort erkennt er, gerade das richtige Paddelwetter für einen „Seekajaker“. Die Brandung, die weiter draußen bei einer Sandbank einsetzt, hat er mit Bravour gemeistert und als er aus dem Schutz des Nordost-Kaps von Kasos nach einer viertel Stunde herausgepaddelt ist, spürt er die Dünung und den nahezu regelmäßig am Vormittag einsetzenden Meltemi. Es ist angenehm zu paddeln. Die Dünung mit den aufgesetzten Wellen kommen ziemlich von der linken Seite. Es ist ein stetes Heben und Senken des Bootes. Die Dünung ist so hoch, dass er nicht mehr über die Kämme schauen kann, wenn er sich im Wellental befindet. Beeindruckender ist dann natürlich, wenn ihn eine Welle sanft angehoben hat und er hinüber zu seinem Ziel blicken kann. Gemütlich und zufrieden begibt er sich auf seinen Tagestrip.

 

Wann wird er wohl drüben am Südkap von Karpathos ankommen?

 

Szene 1:

 

Es hat stark zu regnen angefangen, so wie es der Wetterbericht prophezeit hat. Es ist ein warmer Regen. Allerdings versperrt er die Sicht auf das Kap. Das macht aber nichts aus, denn der Seekajaker fährt ja mit Hilfe seines GPS-Geräts, das ihm die Richtung genau zum Zielpunkt zeigt, zum Südkap von Karpathos. Kein Problem denkt er und rührt mit seinem Paddel locker und gemütlich das Wasser um.

 

Nach zwei Stunden wird er unruhig. Eigentlich müsste er schon längst das Kap erreicht haben, aber es ist durch den Regen noch nicht auszumachen. Er ist auch genau nach GPS gepaddelt, hat mit der „Go-To-Funktion“ den Kurs akribisch eingehalten. Der Wert der Restentfernungsanzeige des GPS hat in der ersten Stunde ständig auf bemerkenswerte Weise abgenommen, so dass er gar nicht mehr so genau darauf, sondern nur noch auf den großen Richtungspfeil geachtet hat. Ihm haben schon bald die Augen geschmerzt, weil er sich beim Ablesen der zu kleinen Anzeige in dem sich spiegelnden Display und durch die zusätzlich bei Regen  kaum durchsichtige Schutzhülle hindurch zu sehr konzentrieren und anstrengen hat müssen. Außerdem hat er Schwierigkeiten gehabt, das GPS-Gerät auf Deck so zu fixieren, dass es nicht verrutscht und er es noch gut ablesen kann. Im Gepäcknetz ist es zu weit entfernt und auf der Spritzdecke direkt vor ihm hat er das Problem, es nicht exakt genug befestigen zu können, ohne Probleme zu bekommen, wenn er bei einer Kenterung schnell hätte aussteigen müssen. Es zur Kurskorrektur ständig in die Hand zunehmen, ist allerdings auch keine Lösung, weil er dabei laufend den Paddel-Rhythmus unterbrechen muss.

 

Jetzt kontrolliert er seine GPS-Anzeige genauer: Er ist noch knapp 8 km vom Ziel entfernt und der Kompasskurs beträgt 12 Grad!

 

Als der Himmel aufklart, sieht er das Südkap der Insel Karpathos genau vor sich. Aber die Sonne steht in seinem Rücken. Er schaut nach „Nord zu Ost“ (NzO) auf das Kap, anstatt nach „Ost zu Süd“ (OzS), wie es eigentlich hätte richtig sein müssen. Sein Kurs weicht um ganze 90 Grad ab! Wind und Dünung haben ihn, ohne es zumerken, weit nach Süden versetzt. Eigentlich hätte er es an der Restentfernung erkennen können: Der Abstand zum Ziel hat immer weniger ab- und in der letzten dreiviertel Stunde sogar wieder zugenommen.

 

Er probiert nun mit äußerster Kraftanstrengung und mit seiner maximalen Schlagzahl von über 50 das Kap zu erreichen. Auf glattem Wasser wäre es bestimmt über die doppelte Geschwindigkeit mit 12 km/h gewesen. Entsetzt erkennt er aber, dass er gegen die permanente Strömung kaum etwas ausrichten kann. Eine Stunde lang hat er es versucht, mit aller Energie, die an seiner Kondition gezehrt und ihn an den Rand der Erschöpfung gebracht hat, sein Ziel zu erreichen. Nur ganze vier Kilometer hat er in dieser kraftaufreibenden Stunde gutgemacht. Noch einmal die selbe Leistung aufzubringen und durchzuhalten, schafft er aber nicht mehr, zumal ihm bereits das Trinkwasser ausgegangen ist und er kein „Kraftfutter“ mehr zum Frühstück gegessen hat! Er muss jetzt einsehen, dass es aussichtslos ist, bis zur Insel zu paddeln, zumal er bei jeder Erholungspause, deren Intervalle immer kürzer werden, erneut zurückgetrieben wird.

 

Das nächste erreichbare Ufer im Süden liegt in Ägypten, 400 km entfernt. Eine Ausweichmöglichkeit, als Alternativ-Ziel, gibt es in diesem Fall nicht! (siehe dazu auch meinen Beitrag KT-04 - „Eine kleine persönliche Betrachtung zur Sicherheit im und auf dem Salzwasser). Verzweifelt, weil er aus eigener Kraft das rettende Ufer nicht mehr erreichen kann, setzt er mit dem Handy einen Notruf ab und gibt seine ungefähre Position durch, um sich vom griechischen Seenotrettungsdienst auffischen zu lassen. Als er ein Schiff am Horizont erkennt, das auf ihn zusteuert, schießt er eine rote Leuchtrakete ab. Nur gut, dass er so „top“ ausgerüstet ist! Allerdings wird es für ihn ziemlich peinlich werden, wenn er beim Protokoll erklären muss, wie er in solch eine Situation geraten ist, nur 4 Kilometer von der Küste entfernt.

 

Szene 2:

 

Der Regen bleibt aus. Die Sicht ist gut. Bereits nach einer halben Stunde bemerkt der Seekajaker, dass er abgetrieben wird und erhöht entsprechend die Schlagzahl von 25 auf 40.

 

Obwohl er immer auf das Südkap von Karpathos zupaddelt, erkennt er, dass ihn die Strömung nach Süden versetzt. Nach einer weiteren Stunde liegt das Kap auf Nordnordost (22,5 Grad) vor ihm und das GPS zeigt eine Restentfernung von knapp 4 km an. Nach einer erneuten halben Stunde befindet sich das Kap genau im Norden und noch 3 km von ihm entfernt. Er kommt am Kap nach zusätzlichen eineinviertel Stunden bei gleich hoher Schlagzahl an, ausgemergelt, total erschöpft, aber am Ziel. Der Seekajaker ist die klassische „Hundekurve“ gefahren!

 

Neben beibemerkt: Natürlich würde ein erfahrener Seekajaker nicht zum Zielpunkt „Südkap“ paddeln, wenn er in Wirklichkeit in östlicher Richtung weiterfahren möchte, sondern in diesem Fall gleich die Fahrt im Windschatten der Insel in die gewünschte Richtung fortsetzen. Die Fallwinde haben da noch keine so großen Wellen (Erinnerung an die Bora in Dalmatien) zustande gebracht. Außerdem kann er einen Teil der um das Kap und die Insel abgelenkten Strömung für sich nutzen.

 

Mir geht es in diesem Beispiel nur um die direkten Einflüsse, die eine Kurskorrektur nötig machen und um einen Vergleich auf welche Art ein bestimmtes Ziel überhaupt erreicht werden kann (siehe auch weiter unten). Welche Ideallinie auf einer Tagesetappe zu paddeln ist, gehört zu einem anderen Thema.

 

Bildliche Darstellung der möglichen Kursabweichungen an dem oben geschilderten Beispiel.

 

Folgende Parameter habe ich bei meinen Ermittlungen angewendet und in der Karte unten dargestellt:

- Berechnungsintervall (Punkte): 15 Minuten

- Wind (Meltemi) aus Nord mit 5 bft = 35 km/h (im Mittel)

- Driftgeschwindigkeit rund 1/5 (Faustwert) der Windgeschwindigkeit: 7 km/h

- Dünung nach Sturm mit 7 bft = 55 km/h (im Mittel)

- Driftgeschwindigkeit rund 1/5 (Faustwert) der Windgeschwindigkeit: 11 km/h abklingend

- Für die Ermittlung angenommene effektive Strömung (Drift und Dünung): 8 km/h

- Paddelgeschwindigkeit normal: 06 km/h = Schlagzahl: ca. 25 (einseitige Paddelschläge/Minute)

- Paddelgeschwindigkeit erhöht: 10 km/h = Schlagzahl: ca. 40 (einseitige Paddelschläge/Minute)

(Hinweis: Die angegebenen Paddelgeschwindigkeiten beziehen sich auf ruhiges Wasser, ohne Wind und Wellen.)

 

Nicht berücksichtigt bei meinen Ermittlungen sind der aktive Wind, der die Kursabweichung verstärkt und auch nicht die Auffächerung der Strömung nach dem Sund um die beiden Inseln herum. Ich habe wegen der Vereinfachung nur mit der Strömung in gerader Richtung aus Nord gerechnet!

 

Legende Szenario:

- durchgezogene gerade Linie:

Geplanter Kurs der Überfahrt (Gerade von der Lagerbucht zum Südkap)

- gestrichelte Linie:

Ablenkung bei gleichbleibender Paddelgeschwindigkeit von 6 km/h - sie führt auf das offene Meer hinaus, ein Erreichen der Insel ist nach 2 Stunden Fahrzeit (ohne vorhergehender Korrektur) nicht mehr möglich.

- durchgezogene, aber gebogene Linie (Hundekurve):

Ab der Aufteilung liegt die Paddelgeschwindigkeit bei 10 km/h - Zielpunkt (Südkap) ist nur mit größter Anstrengung erreichbar.

- strichpunktierte Linie mit Pfeil:

Sie zeigt den jeweiligen Paddelkurs für die nächste viertel Stunde an - hier: grundsätzlich zum Südkap der Insel Karpathos.

- strichpunktierte Linie ohne Punkte:

Grobgeschätzter Verlauf des Kurses über Grund, unter Berücksichtigung der Ablenkung der Strömung durch die beiden Inseln und des abweichenden, weiterführenden Kurses direkt zum nächsten Ziel, dem Südostkap (nicht wie ursprünglich zum Südkap), aber noch ohne Berücksichtigung des direkten Windes.

 

Legendemeiner eigenen Planung für die Überfahrt:

- punktierte gerade Linien:

Planung unter Berücksichtigung von Drift und Dünung - vom Lager zum Südwest-Kap der Insel Karpathos (nordöstlich von Kasos) und dann mit der Strömung zum Südkap. Die gesamte Strecke würde mit erhöhter Paddelgeschwindigkeit von 10 km/h, als Sicherheitsfaktor, gefahren werden, um den Sund mit seiner Hauptströmung gleich am Beginn meines Tagestrips mit noch frischer Kraft zu überqueren.

- punktierte gezackte Linie:

Der selbe Anfangskurs unter Einbeziehung der Ablenkung durch die Strömung mit 8 km/h. Bei einer Paddelgeschwindigkeit von 10 km/h weicht er von der geplanten Überquerung stark ab!

- strichpunktierten Pfeile:

Sie zeigen den jeweiligen Paddelkurs zu verschiedenen Zielpunkten (Viertel-Stunden-Takt), damit ich auf dem kürzesten Weg zum gewünschten „Südkap“ gelange. Das heißt, ich korrigiere ständig meinen Kurs und nähere mich weitgehendst der Ideallinie nach Planung an. Allerdings versuche ich aus Sicherheitsgründen, mich grundsätzlich oberhalb des direkten Kurses zu halten. So hätte ich nach knapp eindreiviertel Stunden mein Ziel, das Südkap erreicht (im Gegensatz zu über dreieinviertel Stunden bei der Hundekurve mit nahezu der gleichen Schlagzahl - nur die erste halbe Stunde wäre bei der Hundekurve mit 6 km/h etwas gemütlicher verlaufen). - Hinweis: Diese Kurslinie dient nur zum Vergleich mit der Hundekurve. In Wirklichkeit wäre ich bereits gegen 04.00 Uhr losgepaddelt, also noch während der Dämmerung und noch vor Sonnenaufgang. Das hat sichauf meinen Langtouren so eingebürgert (siehe dazu auch meinen Beitrag KP-03 - Mein Reise-Alltag auf Langfahrten). Damit wäre ich dann mit 10 km/h bei der geplanten Überfahrt von 8 km und einer Dauer von knapp 50 Minuten auf alle Fälle dem Meltemi ausgekommen, der in der Regel erst am Vormittag zu wehen beginnt und hätte nur die Dünung zu überwinden gehabt. Bei der Weiterfahrt der Küste entlang nach Süden mit sehr gemächlichen 5 km/h, hätte mich dann die Dünung angeschoben.

 

 

Bild 1: Darstellung der Kursabweichungen auf der Karte von Google earth wie oben in der Legende beschrieben. Dabei sollte man als Quintessenz herausfiltern können, dass man bereits vor, aber zumindest zu Beginn eines Inselsprungs erkennen muss, welche Einflüsse auf den Kurs einwirken, um die nötigen Korrekturen anzubringen oder um gegebenenfalls die Überfahrt abzubrechen.

 

 

Bild 2: Eine meiner früheren Planungen einer Tour von Kreta nach Rhodos, ebenfalls vorgestellt auf einer Karte von Google earth. Nachstehend folgen die Erklärungen dazu und die damals getroffenen Entscheidungen.

- durchgezogene Linien:

Die kürzest möglichen Überfahrten

- punktierte Linien:

Erforderliche Kurs-Korrekturen unter Berücksichtigung von Wind und Wellen, um sicher zum Ziel zu gelangen. - Wegen der langen Strecke von Kreta nach Kasos von 50 km offene See ohne irgendeine Ausweichmöglichkeit(!) und einer vorsichtig geschätzten Reisedauer von 10 Stunden (bei 5 km/h) und der Ungewissheit über die kurzfristige Stärkenschwankung des Meltemi von 4 bft im Minimalfall bis maximal bis 8 bft bei Sturm, habe ich aber diese Reiseplanung verworfen.

 

Im Allgemeinen bläst der Sommerwind in dieser Region mit 4 - 5 bft aus Nordwest. Damals habe ich, über die 10 Stunden Fahrzeit verteilt, für die Berechnung als Mittelwert einen Meltemi von 3 bft angenommen (Start bei Morgengrauen!). Nur zwischen den Inseln Karpathos und Kasos wird er abgelenkt und kommt aus Nord, frischt allerdings durch den Düseneffekt sehr stark auf. Innerhalb von 10 Stunden kann sich aber ohne weiteres ein Sturm entwickeln (siehe unten), der für einen Seekajaker dann zur Bedrohung werden kann.

 

Rhodos und Chalki sind mit rund 43 km vom Nordkap der unmittelbar im Norden von Karpathos liegenden Insel Saria ungefähr gleich weit entfernt. Weil ich auf dieser Reise sowieso weiter in den Norden wollte, wäre in diesem Fall der Kurs nach Chalkis die weitaus bessere Planung gewesen. Wenn dann der normale Meltemi aus Nordwest bläst, würde er mich auf alle Fälle in Richtung Rhodos treiben, so dass ich diese Insel mit Sicherheit erreichen würde.

 

2003 hatte ich vor, in umgekehrter Richtung von Rhodos über Karpathos nach Kasos und dann weiter nach Kreta zu paddeln, auf dem selben Kurs (durchgezogene Linie) wie in Bild 2 eingezeichnet, nur in umgekehrter Richtung. Der normale Meltemi hätte mich dann von den geplanten Zielen an den Nordspitzen der Inseln Karpathos und Kreta aus, den Küsten entlang in Richtung Süden versetzt. Karpathos und Kreta weisen eine Küstenlänge im Osten von ungefähr 50 km auf, die bei einer Überfahrt von Ost nach West auch bei Abdrift mit Sicherheit zu erreichen gewesen wären. Allerdings hatte mir damals ein heraufziehender Sturm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. (siehe dazu auch meinen Beitrag KR-06 - Stürme in Griechenlands Süden). Gerade dieses Ereignis animierte mich, diese sturmgefährdete Region für das oben aufgeführte Beispiel zu verwenden.

 

Fazit:

 

In meinen vorangegangenen Posts habe ich bereits mehrmals dieses Thema angeschnitten und auf die Wichtigkeit über die Kenntnisse der Auswirkungen von Strömungen und Winden auf das Seekajaking hingewiesen, die den Kurs sehr stark beeinflussen können. Weil weder Kompass noch GPS von sich aus diese Effekte berücksichtigen, müssen die Korrektur-Parameter bei der Kursberechnung vom Seekajaker selbst eingegeben werden! In diesem Fall ist eben Wissen und Erfahrung von enormer Bedeutung. Sich blind auf sein technisches Equipment zu verlassen, ist in meinem Augen grob fahrlässig. Deshalb warne ich immer wieder davor, wenn von navigatorischen Laien das Loblied auf die elektronischen Navigationsgeräte angestimmt wird. Das gilt meines Erachtens für alle Fortbewegungsarten beim Outdoor-Reisen, insbesondere, wenn man solo unterwegs ist. Als zusätzliches Hilfsmittel ist die Elektronik gewiss brauchbar und auch sehr bequem. Man muss aber die Grenzen eines Navi oder GPS-Geräts genau abschätzen und die Anzeigen richtig interpretieren können.

 

Wenn ich falsch liege, bitte ich, mich zu korrigieren!

 

Die Probleme bei Überfahrten habe ich neben den im Text aufgeführten Links auch in folgenden Posts angesprochen und an Beispielen versucht zu erklären:

 

KF-03 - Stürmische Überfahrt nach Spetse am Peloponnes - 2006

- KT-11 - Inselsprung von Folegandros nach Santorin (im 2. Teil) - 2003 

- KT-09 - Paddle ich auf der Stelle?

- KT-07 - Wie man Überfahrten meistert  

- KT-08 - Kommentar zu Überfahrten und zum Inselspringen  

 

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen mehr Verständnis für die Sicherheit auf Seekajaktouren im Mittelmeer geweckt zu haben, damit man sich intensiver mit Nautik und Seemannschaft beschäftigt.

Ein Forumsmitglied der Outdoorseiten meinte zu meinem Beitrag, dass mit der geschilderten Situation (Trip nach Karpathos) für ihn schon die Grenze des Machbaren erreicht sei. Er fragt, ob es nicht gescheiter wäre, in dieser Ecke mit einem Segelboot unterwegs zu sein.

 

Dann schweifte er vom Thema ab und philosophierte ein wenig über den Sinn und Zweck, etwas auf dem Wasser zu erleben. Ich möchte sein Statement hier wörtlich wiedergeben, weil ich es sehr interessant finde:

 

Im Grunde gibt es doch zwei unterschiedliche Herangehensweisen, um auf dem Wasser was zu erleben.

 

1 - (sportorientiert) Ich verstehe mich z.B. als Seekajaker (oder Segler, oder Ruderer) und will möglichst viele unterschiedlichen Reviere erkunden. Also muss ich in Sachen Ausrüstung, Vorbereitung usw. sehr flexibel sein, um meinen Sport überall ausüben zu können. Kompromisse ohne Ende.

 

2 - (revierorientiert) Mich interessiert ein bestimmtes Revier, z.B. die Ionischen Inseln. Ich seh mir an, wie die Leute vor Ort sich auf dem Wasser bewegen oder früher bewegt haben, und wähle entsprechend meine „Hardware“ unter Berücksichtigung meiner Neigungen. Das heißt etwa im konkreten Fall, Motorboote fallen aus, mag ich nicht; Seekajak und ähnliche muskelbetriebenen Fahrzeuge halte ich für suboptimal; die Fischer dort verwend(et)en ein kleineres, stabiles und unkompliziert geriggtes Segelboot. Wenn das machbar ist (Kosten, Transport usw.), dann wäre das meine Ideallösung.

 

Mit der Zeit neige ich immer mehr zur zweiten Herangehensweise, da ich nicht unbedingt einem bestimmten Sport eng verhaftet bin - als wesentlich kristalliert sich heraus: draußen und auf dem Wasser sein, Menschen und Natur erleben.

 

In Zeiten virtueller Information und unkomplizierter Verfügbarkeit aller möglichen Ausrüstung stellt das auch kein Problem mehr dar.

 

Ich versuchte, ihm mit folgenden Kommentar, meine persönliche Meinung nahezubringen:

 

Grenzwertig sind bestimmt die Querungen von Kreta nach Kasos und von Karpathos direkt nach Rhodos, wenn man den Meltemi als starken Wind mit berücksichtigt. In 10 oder in 8 Stunden, so lange würden die beiden Überfahrten ungefähr dauern, kann sich das Wetter sehr stark zu Ungunsten des Seekajakers ändern. In diesem weiten Bereich wäre eine Segeljacht bestimmt die bessere Lösung. Selbst wenn man mit Paddelbooten schon den Atlantik überquert hat, sind dem normalen Seekajak-Reisenden Grenzen gesetzt. Ich habe bereits an verschiedenen Stellen von meinen Abbrüchen aus Sicherheitsgründen erzählt.

 

Wenn Du aber die Überfahrt von Kasos nach Karpathos meinst, so ist nicht das Paddelrevier grenzwertig, sondern mehr die geschilderte Situation, das muss ich zugeben! Ich wollte aber in einem einzigen Beispiel zumindest die größten Gefahren aufzeigen, die bei einer Kursberechnung und anschließender Querung unbedingt zu berücksichtigen sind. Deshalb die drastische Summierung von Faktoren, die vermutlich sehr selten gleichzeitig auftreten: Zwang zum Aufbruch wegen mangelnder Nahrungsmittel - hohe Dünung wegen Sturm - Ende Juli ist „Meltemi-Hauptsaison“ - Zusammenwirken von Drift und Dünung -  Erstlingtour, um die geringe Erfahrung des Seekajakers zu erklären - kurzer, schneller und deshalb vermeintlich gefahrloser Inselsprung - Regen mit geringer Sicht auf das Ziel - schlechte Ablesbarkeit des GPS-Geräts durch äußere Umstände, usw.

 

Heute kann man bereits Brusthalterungen für GPS-Geräte kaufen (oder selber basteln), die eine sehr gute, ständige Sicht auf das Gerät gewährleisten, damit man die Hände frei hat. Ich habe mir schon einmal überlegt, eine der wasserdichten, durchsichtigen Handy/GPS-Taschen fest auf die Spritzddecke zu nähen, nieten, zippen, klammern ... Allerdings behindert all dieses Zubehör das Schwimmen und Wiedereinsteigen, wenn ein Paddler einmal unfreiwillig baden gegangen ist. Außerdem wäre mir das ganze „Geschirr“ zu lästig und zu unbequem.

 

Eine Überfahrt von Kasos nach Karpathos mit 8 km zum Südwest-Kap und dann der Küste entlang zum Südkap, wie ich sie in der Planung vorgesehen habe, ist in der Regel kein Problem - wenn man solange warten kann, bis sich die Naturgewalten einigermaßen gelegt haben oder man eben in Zeiten paddelt, bevor der Meltemi einsetzt (z.B. in aller Frühe, wie im Artikel beschrieben).

 

Bei den Ionischen Inseln sind die Überfahrten so um die 25 km. Auch bei diesen Strecken sehe ich noch nichts Grenzwertiges. Voraussetzung ist allerdings, man hat die nötige Erfahrung, um die Wettersituation in den nächsten 5 Stunden beurteilen zu können. 5 Stunden rechne ich bei 25 km mit der bequemen Paddelgeschwindigkeit von 5 km/h. Wenn es schnell gehen muss, schafft man die Strecke bei ruhigem Wasser auch in der halben Zeit.

 

Nun spielen Segelboote (Ich gehe davon aus, Du meinst Jachten.) in einer ganz anderen Liga als Kajaks. Trotzdem nützen erfahrene Paddler sehr wohl Wind und Wellen aus, um schneller voranzukommen. Beständige Winde wie Maistral, Meltemi können einem Seekajaker durchaus helfen, mit „Schwung“ voranzukommen. Man muss eben seine Touren so planen, damit die Winde und die daraus resultierenden Wellen überwiegend von hinten kommen und nicht von vorn. Zum Beispiel plane ich Seekajaktrips in der dalmatinischen Inselwelt und bei den Ionischen Inseln überwiegend an der Außenseite der Inseln, wenn ich in südliche Richtung fahren möchte, damit mich der Maistral unterstützt - Pech, wenn ich da gerade einen Jugo, den warmen Südwind (er wird auch Schirokko genannt), erwischen werde. In Gegenrichtung, nach Norden, paddle ich lieber an der Küste entlang oder zwischen den Inseln hindurch, weil mich dann die vorgelagerten Eilande vor dem selben Wind und seinen Wellen weit gehendst schützen.

 

Oft habe ich mir schon überlegt, auf dem Meer ein anderes „Transportmittel“ zu verwenden, vom Segelkanu bis zum motorisierten „Kajütkanu“ (na ja, man wird eben älter). Letztendlich bin ich aber immer wieder zum normalen Seekajak zurückgekehrt. Warum? Weil ich ein Paddelboot unabhängig von zusätzlichen Hilfsmitteln wie Segel und Wind und Motor und Treibstoff fortbewegen kann. Außerdem laufe ich Küsten und Buchte an, die für andere Boote/Schiffe tabu sind.

 

 

Bild 1: Tour 2003 - Solche versteckte Buchten wie hier am westlichen Peloponnes („Nestors Badewanne“ nenne ich sie, das Wasser dort ist tatsächlich badewannenwarm, weil ein größerer Wasseraustausch mit dem Meer fehlt und die Bucht relativ seicht ist.), kann man nur mit einem „Wasserrührer“ erreichen, denn ...

 

 

Bild 2: Tour 2006 - ... die Einfahrt in diese Bucht ist von einem Felsen unter Wasser blockiert und deshalb für größere, tiefer gehende Boote „von Natur aus“ gesperrt, Wassertiefe am schmalen Buchteingang ca. 10 cm bis 25 cm, je nach Wasserstand. Lediglich Kajaks und Kanadier können in die Bucht einfahren, und die sitzen manchmal schon auf und streifen über den Algenbewuchs hinweg (siehe auch meinen Beitrag KL-03 - Bilder von Lagerplätzen: in der Ägäis und dem Ionischen Meer, Bild 4).

 

Einmal habe ich eine Art Ruderboot mit einer kleinen Kajküte entworfen (Umbau eines Kanadiers, 5 m lang, 95 cm breit, der bei mir in der Garage hängt), das ich mit einem speziellen, sehr einfachen Rudergestänge in Sichtrichtung (wie bei einem Paddelboot) vorantreiben kann. Die Realisierung wird aber vermutlich ein Traum bleiben.

 

Um Deine Gedanken aufzugreifen: Es stimmt, in jüngeren Jahren ist man mehr leistungsorientiert unterwegs. Man will „Strecke“ machen, seine Kräfte ausreizen, neue Länder kennenlernen, sich in Grenzsituationen vorwagen, an die man noch gar nicht gedacht hat. Einher geht die Optimierung der Ausrüstung. Alles nur erdenklich Neue, Moderne will man haben und es soll auch perfekt sein - vom Praktischen, Notwendigen, wirklich Brauchbaren ist man oft weit entfernt.

 

Im Laufe der Zeit kristallisiert sich aber eine gewisse Vorliebe zu bestimmten Dingen heraus, verbunden vielleicht mit etwas mehr Bescheidenheit. Das kann in der Fortbewegungsart liegen, z.B. ohne und mit Hilfsmittel (Wanderer, Radeler, Paddler, ...), motorisiert oder nicht (Motorbiker, Motorcamper, Skipper, ...), aber auch regional begrenzt sein wie z.B. die Skandinavien-Liebhaber oder die Freunde des Mittelmeers. Auch dort wird noch unterteilt in die einzelnen Gebieten. Natürlich gibt es auch eine Kombination aus beidem.

 

Wenn man älter wird, hat man sich unter Umständen in eine Landschaft verliebt, zu der man sich hingezogen fühlt. Das muss nicht ein einziger Standort sein, aber sie sind meist von einer ähnlichen Topographie. Ich muss Dir recht geben, wenn Du schreibst, dass Du mehr zu „revierorientiert“ neigst und ich erwische mich auch schon dabei, dass ich einige Regionen bevorzuge: Adria, Ionisches Meer, Ägäis zum Beispiel. Das ist zwar noch ein sehr weiter Bereich, aber selbst da habe ich schon bestimmte Präferenzen.

 

Dass man sich allmählich mit dieser Region immer mehr identifiziert, wäre eigentlich die logische Schlussfolgerung. Wenn ich ein schönes, gepflegtes griechisches Kaiki sehe, dann gehen mir in der Regel ebenso die Augen über wie Dir. Trotzdem würde ich aber einen Kajak vorziehen, wenn ich zwischen diesen beiden Booten wählen könnte. Das hat aber bei mir mehr mit dem flexibleren Einsatz eines Kajaks zu tun, so wie ich es oben bereits erwähnt habe! Je nach Situation ist es mir lieber, ich karre meinen Kajak über eine Landenge, als dass ich einen großen Umweg fahren muss, insbesondere dann, wenn ich dort nur an Fabrik- oder Betten-Silos vorbeipaddle. Oder ich lande gerne an einsame Küsten an, die sonst kaum jemand erreicht. Obwohl mich die Menschen eines Gebiets, deren Kultur und Tradition sehr interessieren und ich keine Kontaktprobleme habe, fühle ich mich doch mehr zur Natur, zur Einsamkeit und zum autarken Leben hingezogen.

 

So, das wäre meine etwas einseitige Meinung zum Thema Outdoorleben. Sie muss ja nicht dem Mainstream entsprechen - Individualität ist doch ein Markenzeichen der Outdoor-Freaks. Ich hoffe, Du kannst meine Darstellung nachvollziehen.