KN-14 - Astronomische Navigation der einfachen Art - Polarisbreite

 

verfasst 2012 - geändert am 27.07.2012 

 

Bei einer Küstentour ist immer eine Standlinie vorhanden, mit der man in der Karte seinen Aufenthaltsort bestimmen kann: nämlich der Uferstreifen! Verläuft er ungefähr in Nord-Süd-Richung, bräuchte man für die zweite Standlinie eigentlich nur die Nordsternbreite für seine Ortsbestimmung, wenn man nicht schon anhand der Örtlichkeiten (Küstenverlauf / Inseln) seine Position erkennen kann. Notwendig wird eine einfache Feststellung der Polarisbreite aber sicherlich in einer Ausnahmesituationen, wenn man z.B. in Seenot gerät und mit dem Kajak an eine fremde, einsame, unbewohnte Insel getrieben wird. Im Mittelmeer ist das wohl kaum der Fall, weil man nicht mehr zu Odysseus Zeiten lebt - in anderen Gebieten der Welt aber durchaus noch präsent: Inselwelt von Südchile, Südsee, Südostasien, Küstengewässer von Alaska und Britisch-Kolumbien, um nur einige zu nennen.

 

Im Beitrag KN-13 - „Astronomische Navigation der einfachen Art - Einführung“ habe ich die Grundlagen für die Nordsternbreite und eine einfache Bestimmung mit dem Pendelquadranten vorgestellt. Dabei habe ich erklärt, dass man genauer die Standortbreite bestimmen könnte, wenn man die Dimensionen dieses Quadranten einfach vergrößert. Genau das haben auch die Militärs, voran die Amerikaner während des Vietnamkriegs, mit dem Fishline-Sextanten verwirklicht.

 

Ich habe zum ersten Mal davon Ende der 1970er Jahre gelesen, als ich mir das erweiterte Reprint von 1978 des Air Force Manual 64-3 „Survival Training Edition“, Ausgabe 1969 zulegen konnte, aus dem die meisten heutigen Survival-Spezialisten ihre Techniken übernommen und permanent in ihren eigenen Veröffentlichungen verwendet haben.

 

Die beiden folgenden Bilder stammen aus diesem Manual 64-3 der US Air Force und sind auch in unzähligen Büchern und Homepages der Survivalianer wiederzufinden.

 

 

Bild 01: Die Grundkonzeption eines Fishline-Sextanten. Wichtig ist dabei, dass das Lot frei hängt, um eine exakte Tangente zur Erdoberfläche zu erhalten. Die Zeichnung ist eigentlich selbsterklärend. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ich für meinen eigenen Gebrauch den Fishline-Sextanten zum „Angelschnur-Sextanten“ umfunktioniert, vereinfacht und grundlegend abgeändert habe.

 

 

Bild 02: Die Anwendung des Fishline-Sextanten. Man visiert von einer Ecke A des Schnurdreiecks den Nordstern an und markiert die Peilung auf dem Lot. Nach dem Ausmessen der Längen A-C ( Sie ist meist konstuktionsbedingt vorgegeben - bei einem Seitenverhältnis von 3 - 4 - 5  erhält man ein rechtwinkeliges Dreieck) und C-Polarismarkierung kann man aus dem Verhältnis mit Tabellen oder Taschenrechner über die trigonometrischen Funktionen den Winkel bestimmen. Wählt man für die Länge A-C die Einheit 1 (z.B. 1 m - das entspräche dann einem Seitenverhältnis von 1 - 1,333 - 1,666), kann man sofort den Tangens mit 3 Stellen hinter dem Komma ablesen, wenn man die Strecke C-Polarismarkierung mit einem Maßband mit Millimeterteilung ermittelt (z.B. 0,700 m = 35 Grad +/- 1 Min oder 1,428 m = 55 Grad +/- 2 Min). Allerdings muss man dann auf die trigonometrischen Funktionen als zusätzliches Hilfsmittel zurückgreifen. Gezeigt wird auch hier die Option für den Einsatz eines Pendelquadranten zur einfachen Breitenfeststellung.

 

Eben, weil die Amerikaner über die Tangensfunktion rechnen, benötigen sie eine umfangreiche Tabelle oder einen wissenschaftlichen Taschenrechner, um den Winkel ermitteln zu können. Das war mir zu kompliziert, zu aufwändig, viel zu technisch, hilfsmittelrelevant und ich ersann in den 1980er Jahren ein wesentlich einfacheres System, um den Angelschnur-Sextanten zu benutzen - ohne viel Mathematik. Mehr als die vier Grundrechnungsarten muss man dafür nicht parat haben.

 

Ich gehe von der Tatsache aus, eine Genauigkeit von 4 bis 10 km zu erreichen, das wären umgerechnet rund 2 bis 5 Seemeilen. Messen möchte ich dabei den Winkel von der Tangente zur Erdoberfläche bis zur Peilung von Polaris mit einer Genauigkeit von 2 bis 5 Bogenminuten (1 Seemeile = 1 Bogenminute), für eine Survival-Situation völlig ausreichend. 10 km entsprechen dem Radius eines Punktes von 1 mm Durchmesser auf meiner Survivalkarte mit dem Maßstab von 1:20 Mio (siehe dazu die Erklärung im Beitrag KN-13 - „Astronomische Navigation der einfachen Art - Einführung“).

 

Jetzt kommt wieder der Pendelquadrant für die Erklärung ins Spiel: Wenn ich einen Kreisbogen hätte, der so groß ist, dass ich 2 Bogenminuten bequem ablesen könnte, hätte ich die gewünschte Güte erreicht. Wie groß müsste der Radius dieses Kreisbogens sein, damit ich diese Genauigkeit erhalte?

 

Ich meine, mit relativ einfachen Hilfsmitteln (Meterstab, Lineal, „Schneidermaßband“ oder kariertem Papier mit einer Rasterteilung von 5 mm) einen Millimeter genau ablesen zu können. Das heißt, bei dieser Ablesegenauigkeit müsste 1 mm dann 2 Bogenminuten entsprechen. Rechnen wir nun einmal den erforderlichen Radius aus: 360 Bogengrad x 60 Bogenminuten/Bogengrad = 21.600 Bogenminuten. Wenn dann 1 mm genau 1 Bogenminute entsprechen soll, erhalte ich logischerweise einen Kreisumfang von 21.600 mm. Will ich auf einem 1 mm nur 2 Bogenminuten ablesen, kann ich den Wert einfach halbieren: 21.600 mm / 2 = 10.800 mm. Der Umfang wird nach der Formel U = d x Kreiszahl „pi“ bestimmt (d = Durchmesser = 2 mal der Radius, Pi ist eine Konstante mit dem Wert 3,141569). Will ich nun den Radius berechnen, muss ich den Umfang durch pi und durch 2 teilen: 10.800 / 3,14157 / 2 = 1.718,9 mm, gerundet 1.719 mm. Was sagt dieser Wert aus: Wenn ich einen Radius mit 1,719 m habe und ich dessen Kreisumfang 1 mm genau messen kann, erhalte ich meine Standortbreite mit einer Genauigkeit von 2 Bogenminuten. Nur so nebenbei: Würde ich den Radius verdoppeln, könnte ich meine Nordsternbreite auf eine Bogenminute (im Extremfall auf 30 Sekunden, das entspräche einer Qualität von einem knappen Kilometer) ablesen. Allerdings lägen dann der Radius bei 3,438 m und der „Pendelquadrant“ (abgewandelt als Angelschnur-Sextant) würde dann einen Umfang annehmen, den man nur sehr schwierig handhaben kann - möglich wäre es aber ohne weiteres.

 

Realisten werden nun sofort den Einwand auftischen, dass man keinen Viertelkreis mit einem Radius von 1,719 m auf eine Blatt Papier aufzeichnen und das man anschließend in einem Survival-Kit unterbringen kann. Das ist völlig richtig! Das habe ich auch in meinem Beitrag KN-13 - „Astronomische Navigation der einfachen Art - Einführung“ bereits erwähnt. Ich greife deshalb auf eine Variante des Fishline-Sextanten der US Air Force zurück. Ich habe ihn „Angelschnur-Sextant“ genannt, um eine Unterscheidung in der Definition zu erhalten. Die Handhabung ist ähnlich, nur die Dimensionen des Schnurdreiecks, dessen Ausrichtung und das eigentliche nahezu „direkte“ Messverfahren, ohne die Verwendung von komplizierten trigonometrischen Funktionen, sind von mir abgewandelt worden:

 

Dabei hänge ich an einem Baum ein mit einer Angelschnur geknotetes gleichschenkeliges Dreieck auf, bei dem eine Kathete genau senkrecht zum Erdmittelpunkt zeigt (Lot). Die untere Ecke dieser Kathete bildet mit der anderen waagerechten gleichlangen Kathete einen 90-Grad-Winkel. Diese waagerechte Kathete ist mit der Tangente zur Erdoberfläche identisch und ich richte sie nach Norden aus. Beide Katheten sind 2,431 m lang (berechnet mit dem Lehrsatz des Pythagoras), die Hypotenuse entspricht dann zweimal dem Radius von 1,719 m und ist somit 3,438 m lang. Der Radius wiederum ist gleich der Höhe von der Hypotenuse zum rechten Winkel. Ein Knoten in der Mitte der „Hypotenusenschnur“ markiert den Fußpunkt der Höhe und teilt den 90-Grad-Winkel in zweimal 45 Grad. Das sind sehr viele Daten und Mathematik, die in diesem Absatz stecken. Sie sind für diejenigen von Euch, die meine Berechnungen nachvollziehen wollen. Ich habe die erforderlichen Werte zum Anfertigen eines Angelschnur-Sextanten in einer kleinen Tabelle zusammengefasst und auf die Rückseite meiner Survival-Karte geklebt (siehe Anhang). 

 

Wenn ich jetzt von dem rechten Winkel aus auf den Nordstern peile und die Höhe auf der schrägen Hypotenusenschnur markiere, entspricht der Winkel von der „Erdradius-Tangente“ (waagerechte Kathete) zu der Nordsternpeilung (vom rechten Winkel aus über die Hypotenuse) genau der Polarisbreite meines Standorts. Zum Markieren der Polarisbreite verwende ich ein Stück Plastikfolie als Markierungsstreifen mit 2 Löchern durch die ich die Schnur an der Hypotenuse gezogen habe (z.B. ein zurechtgeschnittener Schnellhefter). Der Streifen muss nicht sehr groß sein. Ich habe ihn überdimensioniert (etwa 5 x 9 cm), damit Ihr ihn auf den Bildern besser erkennen könnt. Für die Art und Weise der Markierung ist Eure Phantasie gefragt. Wer gute Augen hat, dem reicht sicherlich eine kleiner verschiebbarer Fadenwickel auf der Angelschnur.

 

Den Nordstern visiere ich an, indem ich die obere oder untere Kante der Markierung mit dem Stern und mit dem Knoten am 90-Grad-Winkel in Deckung bringe. Das wird sicherlich nicht gleich zum ersten Mal gelingen. Man sollte da schon einige Zeit aufwenden, damit man auch eine exakte Peilung hinbekommt. Gerade in der Nacht ist es nicht so einfach, eine Sternpeilung an einer Schnur zu markieren. Meine geflochtene Angelschnur mit 0,28 mm Durchmesser erkenne ich in 1,7 m Entfernung in meinem Alter im Dunklen nicht mehr. Nur eine etwas größere Fläche in Form des Markierungsstreifens kann ich gut sehen und auf der dünnen Angelschnur an der Hypotenuse so lange verschieben, bis der Nordstern auf der Kante der Markierung und so nahe wie möglich an der Angelschnur liegt (kleinere Abweichung beim Peilen, wenn sich die Markierung verdreht). Der Knoten (am 90-Grad-Winkel) unmittelbarer vor dem Auge ist nach etwas Gewöhnung leichter zu erkennen. Eventuell hilft eine diffuse Lichtquelle dabei (z.B. eine abgedunkelte Stirnleuchte, sie darf den Knoten aber nicht zum Leuten bringen, sonst erkennt man die Markierung und den Nordstern nicht mehr). Im Prinzip geht die Polaris-Peilung mit den selben Problemen einher, wie das Anvisieren des Ziels beim Nachtschießen während des Grundwehrdienstes.

 

Nachdem ich den Winkel zuverlässig markiert habe, kann ich den Abstand vom 45-Grad-Winkel, der auf der Hypotenuse mit einem Knoten markiert ist, ausmessen. Weil nur die Höhe auf der Hypotenuse (45-Grad-Knoten) genau dem Radius entspricht, muss ich den Halbmesser zusätzlich nachbilden. Das bewerkstellige ich, indem ich beim 90-Grad-Winkel eine zusätzliche Angel-Schnur dazuknote, die etwa 2 m lang ist und ich bei 1,719 m einen weiteren Knoten anbringe. Wenn ich diese Radius-Schnur nun leicht spanne, so dass sich das Schnurdreieck nicht verzieht, kann ich kontrollieren, ob der Knoten, der den 45-Grad-Punkt an der Hypotenuse markiert, exakt dem Radius entspricht.  Nun lege ich diese Schnur mit leichter Spannung an die Polaris-Markierung an. Dabei wandert der „Radius-Knoten“ in das Dreieck. Halte ich die Hilfsschnur exakt an die Kante der Markierung, kann ich mit der anderen Hand und einem Lineal die Entfernung zwischen den beiden „Radiusknoten“ (45-Grad-Winkel und Hilfsschnur) messen. Fixiere ich den Plastikstreifen der Markierungsfolie, (z.B. mit einer Wäscheklammer, Klebeband usw.), kann ich die Messung auch am nächsten Morgen bei Tageslicht durchführen oder dann zusätzlich kontrollieren.

 

Eine geographische Breite von 45 Grad Nord trifft ziemlich genau mit der Po-Mündung zusammen. Das Mittelmeer, das ich „bepaddle“ reicht bis nach Kreta. Der südlichste Punkt Europas liegt am Südkap der Insel Gavdos, 36 km südlich von Kreta auf 34 Grad, 48 Min, Nord. Gavdos soll die Insel Ogygia gewesen sein, auf der die Nymphe Kalypso den Odysseus für sieben Jahre festgehalten hat. Diese 10 Grad (von 35 bis 45 Grad) oder 600 Bogenminuten weisen bei einer Genauigkeit von 2 Bogenminuten auf 1 mm eine Strecke von 30 cm auf. Auf der anderen, nördlicheren Seite reichen die 30 cm hoch bis zur deutschdänischen Grenze (von 45 bis 55 Grad).

 

Mit einem normalen Lineal, das ich auch zum Navigieren verwende, kann ich also den Bogen ausmessen. Ich habe bei meinem Navigationslineal die schmale Lineal-Kante bis auf die „0-Markierung“ abgefeilt, damit ich genauer und leichter, insbesondere am Knoten, anlegen kann oder in der Seekarte an einer Gitterlinie. Im Survival-Fall muss aber das Lineal improvisiert oder mit der Seitenkante von kariertem Papier (DIN A 4) gemessen werden, eventuell sogar mit einem Grashalm, Ähre oder einem geraden Zweig (Haselnuss, Weide), in dem ich den Abstand mit dem Messer markiere und anschließend in aller Ruhe mit dem „Schneidermaßband“ abmesse.

 

Verwende ich nur die Kreissehne zur Längenbestimmung liegt der Messfehler zur eigentlich erforderlichen Bogenlänge von 45 cm (30/60 Grad) bei -1,28 mm = -2,56 Min, von 30 cm (35/55 Grad) bei -0,38 mm = -0,76 Min, von 15 cm (40/50 Grad) bei -0,05 mm = -0,1 Min, von 0 cm (45 Grad) bei 0,0 mm = 0 Min. Ich messe in Wirklichkeit eine etwas kürzere Strecke, deren Längenunterschied ich zu der Kreissehne addieren müsste.

 

Als einzige zusätzliche Berichtigung, die ich bei dieser Art der Breitenbestimmung in meine Rechnung mit einarbeiten muss, ist die Refraktion (Lichtbrechung). Sie beschreibt die Ablenkung des Lichts durch die Erdatmosphäre. Das heißt: Je flacher der Beobachtungswinkel wird, umso größer wird die Refraktion. Aus der Tabelle der Standard-Refraktion (sie reicht in unserem Fall vollkommen aus) können folgende Werte entnommen werden, die zu dem erhalten Messergebnis hinzugezählt werden müssen: 30 Grad: -1,7 Min, 35 Grad: -1,4 Min, 40 Grad: -1,1 Min, 45 Grad: -1,0 Min, 50 Grad: -0,8 Min, 55 Grad: -0,7 Min, 60 Grad: -0,6 Min.

 

Berücksichtigt man zusätzlich die oben beschriebenen Messfehler, ändern sich die Berichtigungswerte (gerundet auf 0,1 Min) auf: 30 Grad: +0,9 Min, 35 Grad: -0,6 Min, 40 Grad: -1,0 Min, 45 Grad: -1,0 Min, 50 Grad: -0,7 Min, 55 Grad: +0,1 Min, 60 Grad: +2,0 Min. Die Formel dazu lautet: Wahre Standbreite = gepeilte Polarisbreite + Gesamtberichtigung. Weil die Berichtigung zwischen 35 Grad und 50 Grad Nord ein negatives Vorzeichen besitzt, muss ich die Berichtigung von der „gepeilten Polarisbreite“ abziehen! Diese Werte habe ich ebenfalls in einer kleinen Tabelle vermerkt und auf die Rückseite meiner Survival-Karte geklebt (siehe Anhang).

 

Für das Mittelmeer gilt allgemein: Weil die gewünschte Genauigkeit mit „1 mm entspricht 2 Bogenminuten“ ziemlich grob ist, würde man auch ohne irgend einer Berichtigungen auskommen. Wenn man aber vom errechneten Standort (wenn er zwischen 35 Grad und 50 Grad Nord liegt) generell eine Bogenminute abzieht, kommt man ganz gut zu einem relativ zuverlässigen Standort. Zumindest liegt er auf alle Fälle in der anvisierten Toleranz von 4 Kilometern, ganz gewiss innerhalb der 10 km - Voraussetzung ist aber, dass mein Angelschnur-Sextant schon auf einen Millimeter genau aufgebaut worden ist.

 

Wie gelange ich nun von meiner Messung zu meinem Standort?

 

Um von den gemessenen Millimetern vom 45-Grad-Knoten bis zum Knoten der Hilfsschnur, die auf die Markierung ausgerichtet gewesen ist, zu den Gradangaben für die Survival-Karte zu gelangen, muss ich diese gemessenen Millimeter durch 30 teilen (2 Bogenminuten entsprechen 1 mm, d.h. 1 Grad = 60 Min = 30 mm/Grad). Ich erhalte nun den Winkel in Bogengrad, die ich von 45 Grad abziehen muss, wenn ich südlicher als 45 Grad bin (Polaris-Markierung liegt unter dem 45-Grad-Knoten). Dazu zählen muss man den errechneten Winkel in Bogengrad, wenn man sich nördlich von 45 Grad befinde (Polaris-Markierung liegt über dem 45-Grad-Knoten).

 

Beispiel: Ich messe vom 45-Grad-Knoten zum Knoten der Hilfsschnur, die unterhalb des 45-Grad-Knotens liegt, ein Länge von 137 mm. Also: 137 mm / 30mm/Grad = 4,5666 Grad. Wenn ich die Nachkommastellen mit 60 multipliziere, erhalten ich den Dezimalwert der Grad in Bogenminuten:0,5666 Grad x 60 Min/Grad = 33,99 Min, gerundet 34,0 Min. Mein Standort liegt von 45 Grad, Nord um 4 Grad, 34 Min südlicher, also bei 40 Grad, 26 Minuten, Nord. Nun ziehe ich die gerundete (negative) Gesamtberichtigung von 1 Min ab und ich bekomme meinen „wahren“ Standort. Die Position meines Standorts lautet daher jetzt: 40 Grad, 25 Minuten, Nord. Das wäre im Mittelmeerraum etwa die geographische Breite von Benicarlo in Spanien, Porto Tangone und Sas Linnas Siccas auf Sardinien, San Vito und Frigole in Italien, südliche Golf von Thessaloniki und die Insel Samothraki in Griechenland, Gallipoli am nördlichen Eingang der Dardanellen in der Türkei. Würde ich mich an der Adria aufhalten und ich könnte die Sonne hinter der Kimm (im Westen) untergehen sehen, müsste ich auf der Nordwestecke der Halbinsel Karaburun in Albanien mein Lager aufgeschlagen haben.

 

Das ist sehr viel Theorie gewesen, aber die muss sein, um das alles jetzt technisch anwenden zu können. Kommen wir nun zum praktischen Teil.

 

Zur leichteren Erklärung habe ich so einen Angelschnur-Sextanten einmal aufgebaut, nicht mit einer echten „Fischerleine“, die würde man überhaupt nicht erkennen, sondern mit einer gelben, gewöhnlichen Wäscheschnur, aber nur zur Vorstellung und zum Erklären.

 

Das zuvor mit dem „Schneidermaßband“ (Deshalb ist es in meinem Survival-Kit!) exakt ausgemessene und geknotete Schnurdreieck (wie eingangs beschrieben) habe ich an einem Baumast aufgehängt und mit Zeltnägel abgespannt. Als erstes befestige ich an dem Lot, es besteht aus einer separaten Schnur, ein Gewicht. Im zweiten Schritt fixiere ich die untere Ecke der Hypotenuse (längere Seite des Dreiecks) in Nordrichtung. Anschließend richte ich die Ecke des rechten Winkels nach dem Lot aus. Mit der Hilfsleine kontrolliere ich den mittigen Knoten an der Hypotenuse. Eine Plastikfolie dient als Markierung für die Peilung.

 

Stehen nun Cassiopeia und der große Wagen parallel zum Horizont, kann ich mit der Peilung beginnen. Von dem Knoten am rechten Winkel aus, peile ich nun zum Nordstern. Dabei verschieben ich meine Markierung auf der Hypotenusenschnur bis eine Kante Polaris halb verdeckt (soweit das überhaupt möglich ist). Siehe dazu auch Bild 02 (Anwendung des Fishline-Sextanten). Über 45 Grad ist es besser mit der Unterkante zu arbeiten, unter 45 Grad (Mittelmeer) besser mit der Oberkante der angebrachten Plastikmarkierung. Das dauert natürlich einige Zeit, bis man die genaue Einstellung erreicht hat und bewirkt einen sehr sportlichen Einsatz, weil man sich ständig hinlegen muss, um zu peilen und immer wieder aufstehen, um die Markierung zu justieren. Wenn ich die gewünschte Genauigkeit der Peilung erreicht habe, fixiere ich die Markierungsfolie mit einer kleinen Wäscheklammer, Klebeband (wenn überhaupt vorhanden - alternativ die Peilkante mit einem Schnurknoten, z.B. Prusikknoten) an der Hypotenusenschnur, damit sie nicht verrutscht und ich die weiteren Messungen durchführen kann.

 

Die Messungen erledige ich in der Regel mit der Stirnlampe sofort, um meine nördliche Breite errechnen zu können, um sie anschließend in die „Survivalkarte“ einzutragen. Am nächsten Morgen kann ich dann Messung und Rechnung noch einmal in aller Ruhe bei Tageslicht wiederholen und/oder kontrollieren.

 

 

Bild 03: Mein selbstentwickelter, aufgebauter „Angelschnur-Sextant“ mit einer einigermaßen sichtbaren Wäscheleine. Eine Angelschnur, am besten eine geflochtene, die sich nicht dehnt, ist natürlich feiner (0,28 mm Durchmesser) und kann präziser gespannt werden. Außerdem lassen sich die Messungen genauer durchführen. In der Regel sogar auf einen halben Millimeter, wenn man beim Knüpfen des Schnurdreiecks, beim Aufbau, beim Peilen und insbesondere beim Messen mit größter Sorgfalt arbeitet.

 

 

Bild 04: Detailansicht von der Abspannung am Lot, das an einer eigenen Schnur frei hängt. Als „Senkgewicht“ kann alles mögliche verwendet werden: Stein, Henkel-Kochtopf, Wasserflasche, Holzstück, Messer, im Bild ein Ölkanister usw. Dabei ist zu beachten, dass das Lot nicht durch die Form des Gewichts abgelenkt wird (Schwerpunkt in der Mitte des Gewichts!). Es ist ratsam, zunächst die untere Spitze an der Hypotenuse des Schnurdreiecks in Nordrichtung (Kompass) grob und dann in der Nacht entsprechend der Konstellation der Sterne, wie bereits im Beitrag KN-13 - „Astronomische Navigation der einfachen Art - Einführung“ beschrieben, exakt auszurichten. Eine leichte Spannung auf die „Hypotenusenschnur“ gewährleistet das freie Hängen des Lots.

 

 

Bild 05: Die Abspannung oben am Baum. Ich habe in das Schnurdreieck eine Schlaufe (Auge) geknotet und über den Knoten die Leine für das Lot geknüpft, so dass die „Lotleine“ eine halbe Knotenbreite Abstand vom Schnurdreieck aufweist. An die Schlaufe des Schnurdreiecks ist die Halteleine geknotet, über einen Ast geführt und dann am Stamm festgebunden. Man kann auch die leichte Spannung der Hypotenusenschnur erkennen, damit das Lot frei hängt.

 

 

Bild 06: Ansicht der Ausrichtung des Schnurdreiecks am Lot. An dieser Ecke ist noch zusätzlich die Hilfsschnur für die Messung in den Knoten integriert. Um das Dreieck genau am Lot ausrichten zu können, wird es mit zwei Schnüren links und rechts abgespannt. Das Lot muss frei hängen. Der Dreiecksknoten darf das Lot nur leicht berühren (halbe Knotenbreite, sie Erklärung in Bild 05). Von diesem Knoten aus wird dann in der Nacht die Peilung ausgeführt. Bei einer Angelschnur fällt der Knoten wesentlich kleiner aus, so dass er das Lot nicht behindert.

 

 

Bild 07: In der Hypotenusenschnur ist in der Mitte ein Knoten geknüpft, der genau den 45-Grad-Winkel kennzeichnet. Darunter habe ich die Markierung für die Peilung eingefädelt, ein Rechteck aus einer steifen Plastikfolie geschnitten und mit zwei Löcher versehen. Die Markierung kann aber beliebig gestaltet werden, wenn es sein muss, sogar mit einem Baumblatt oder einem kleinen gespaltenen Zweig.

 

 

Bild 08: Um die Genauigkeit der Anordnung zu überprüfen, halte ich die Hilfsschnur exakt an den 45-Grad-Knoten in der Hypotenuse. Der Knoten in der Hilfsschnur, der genau meinem Radius für die Winkelmessung darstellt, muss sich mit dem 45-Grad-Knoten in der Hypotenusenschnur decken, weil dieser als einer der beiden Messpunkte für die Kreissehne verwendet wird. Der gewünschte Radius entspricht der Höhe des gleichschenkligen Dreiecks. Bei Knoten in der dünnen Angelschnur lässt es sich natürlich perfekter arbeiten.

 

 

Bild 09: Nachdem ich Polaris angepeilt habe (Winkel größer 45 Grad: Unterkante der Markierungsfolie), lege ich die Hilfsschnur vorsichtig, ohne dasss ich das Schnurdreieck verzieht, an die Peilkante an und messe mit einem Lineal den Abstand des Knotens von der Hilfsschnur zum 45-Grad-Knoten. Diese Länge entspricht der Kreissehne meines zu ermittelnden Winkels. Dabei muss ich aber sehr genau vorgehen, weil sich die Schnüre sehr leicht eindrücken lassen und es dann zu Messfehlern kommt. Wenn man sehr präzise arbeitet und auch schon eine gewisse Übung darin hat, schafft man aber eine Genauigkeit von einem halben Millimeter, was einer Bogenminute = eine Seemeile oder 1,852 km (rund 2 km) gleichkommt. Die Knoten in der Angelschnur sind natürlich wesentlich kleiner; man kann deshalb auch exakter messen!

 

 

Bild 10: Bei Winkeln kleiner 45 Grad peile ich lieber die Oberkante der Markierungsfolie an und legt die Hilfsschnur vorsichtig daran an.

 

Habe ich dann den genauen Abstand der beiden Knoten ermittelt, ist es nun ein Leichtes, den Winkel zu berechnen. Ich teile einfach die Länge in Millimeter durch 30 und erhalte den Winkel in Grad. Will ich noch die Minuten, multipliziere ich die Nachkommastellen des Winkels mit 60 und erhalte die Minuten (siehe oben).

 

Fazit:

 

Viele werden jetzt denken, dass das alles viel zu kompliziert ist und selbst Ultralight-Fans schleppen lieber ein GPS-Gerät und ein Smartphone für einen Internetzugang auf ihren Touren mit. Solange High-Tech funktioniert, sicherlich eine bequeme Hilfe, wenn Volumen und Gewicht dabei nicht stören. Wenn sie allerdings nicht mehr zu gebrauchen oder gar geraubt sind, ...

 

In einer echten Survival-Situation muss man sich die nötige Zeit nehmen, sein Lager optimal einzurichten und, wenn die Wunden versorgt und die Grundbedürfnisse gedeckt sind, dann auch ohne Panik überlegen, welche nächsten Schritte unternommen werden können, sinnvoll sind und was ich tun muss, um aus dieser prekären Lage herauszukommen. Meinen Aufenthaltsort zu kennen oder ihn mit den einfachsten im Survival-Kit enthaltenen Hilfsmitteln zu bestimmen, ist dabei einer der erste Schritte.

 

Wer aber gut vorbereitet ist, ein breites Allgemeinwissen besitzt und auch noch seinen vernünftigen Menschenverstand benutzen kann, der kommt auch mit Ausnahmesituationen ganz gut zurecht. Der benötigt auch unterwegs kein Internet, um in einem Outdoorforum nachfragen zu können, was er in solch einem Fall machen muss. Ein kluger Mensch informiert sich vorher und verlässt sich nicht auf andere. 

 

Anhang: 

 

(Tabellen in der Schriftart „Courier New“ wegen der Einheitlichkeit der Matrix)

Maße für den Angelschnur-Sextanten:

 

Genauigkeit: 1 mm entspricht 2 Bogenminuten

 

Radius ------- 1,719 m

Hypotenuse –-- 3,438 m mit Mittelknoten bei 1,719 m

Katheten ----- 2,431 m

Hilfsleine –-- ca. 2 m mit Knoten bei 1,719 m

Berichtigung:

 

Legende:

Bogenmaß: Grad/Minuten/Sekunden = GRD/MIN/SEC, Beispiel: 11/46/37,5

 

Wahre Standbreite ist gleich    gepeilte Polarisbreite    plus    Berichtigung

 

Breite –---  Refraktion ---      - Messfehler ---      - Berichtigung

--------------------------------------------------------

30 GRD –--- -minus 1,7 MIN ------ -minus 2,56 MIN -----   plus 0,9 MIN

35 GRD –--- -minus 1,4 MIN ------ -minus 0,76 MIN ----- -minus 1,0 MIN

40 GRD –--- -minus 1,1 MIN ------ -minus 0,10 MIN ----- -minus 1,0 MIN

45 GRD –--- -minus 1,0 MIN ------ -      0,00 MIN ----- -minus 1,0 MIN

50 GRD –--- -minus 0,8 MIN ------ -minus 0,10 MIN ----- -minus 0,7 MIN

55 GRD –--- -minus 0,7 MIN ------ -minus 0,76 MIN -----   plus 0,1 MIN

60 GRD –--- -minus 0,6 MIN ------ -minus 2,56 MIN ----  - plus 2,0 MIN

 

Vorzeichen beachten!