KT-09 - Paddle ich auf der Stelle?

   

verfasst 2011 - geändert am 10.01.2011


Wenn man sich auf einer Überfahrt befindet, wie kann man feststellen, ob man sich über Grund bewegt und nicht grundlos auf der selben Stelle paddelt, weil einem eine starke Strömung entgegensteht? Es kann auch vorkommen, dass man unmerklich sogar nach rückwärts driftet, wenn das „fließende Wasser“ in seirer Stärke zunimmt, einem durch Müdigkeit die Kräfte schwinden oder auf dem vermeintlich so ruhigen Wasser eine Rast einlegt. Im Beitrag KT-04 - „Meine Betrachtungen zur Sicherheit“ habe ich so eine Situation beschrieben, in die ich letztes Jahr geraten war. Da habe ich ohne es zu merken eine Zeitlang auf der Stelle im Wasser gerührt. Das ereignet sich nahezu unmerklich, wenn man langsam gegen eine zunehmende Strömung anpaddelt, wenn diese zum Beispiel um ein Kap gelenkt wird. Mit einem Mal ist dann der Punkt erreicht, in dem die Drift ebenso stark ist, wie der Vortrieb des Kanuten. Dann schaufelt man auf der Stelle! Man muss nur einmal in eine Flussmündung hineinfahren, um diesen Effekt beobachten und fühlen zu können. Nur durch die „stillstehende“ Silhouettenverschiebung stellte ich bei dieser Überfahrt fest, dass es nicht mehr weiterging.

Silhouettenverschiebung ist das Zauberwort, das ich in diesem Beitrag erklärten möchte. Viele werden es auf ihren Paddeltouren schon bemerkt haben, dass sich ein markanter Punkt im Vordergrund gegenüber einem weit entfernten anderen Punkt bei der Vorbeifahrt verschiebt. Das ist am leichtesten beim Wandern und beim Kajaking festzustellen, wenn man sich nicht so sehr auf den Weg konzentrieren muss und mehr die Natur genießen kann.

Am einfachsten ist dies zu beobachten, wenn man aus dem Fenster schaut, sich einen Punkt draußen merkt (z.B. einen Baum, das Hauseck des Nachbarhauses usw.) und dann sich im Zimmer bewegt. Der Fensterstock verschiebt sich zu der Bezugsmarke draußen wie folgt: Geht man nach rechts, wandert der senkrechte Fenster-rahmen gegenüber dem anvisierten Punkt nach links und umgekehrt, schreitet man nach vorne verschiebt sich der obere waagerechte Rahmen nach oben und umgekehrt.

Diesen völlig simplen optischen Effekt nutze ich auf dem Wasser (Meer, See) aus, um festzustellen, ob ich mich fortbewege. Viele werden jetzt fragen, wieso der ganze Aufwand, ich merke doch am Ufer, ob ich weiterkomme. Das stimmt: in Ufernähe. Aber wenn man einmal über eine weite Bucht paddelt, wie ich im letztes Jahr von Grado in Italien nach Savudrija in Kroatien, das sind 21 Kilometer, dann kann man sich nicht mehr am Ufer orientieren.

Ich habe mir dann querab einen Punkt im Vordergrund und einen zweiten im weit entfernten Hintergrund gesucht und dann beobachtet, wie sich die beiden Punkte gegeneinander verschieben. Je weiter die Punkte auseinander liegen, desto schneller bewegen sie sich gegenseitig.

Den selben optischen Effekt kann man nicht nur in horizontaler Richtung beobachten, sondern auch in vertikaler. Paddelt man auf eine Insel zu, wandert der Punkt im Vordergrund gegenüber den Punkt im Hintergrund nach oben. Zum Beispiel verdeckt ein Gebäude am Ufer langsam den viel höheren Kirchturm in der Ortsmitte oder einen weiter entfernten Berg, wenn man sich auf das Haus zubewegt. Man kann direkt sehen, wie sich das Dach des Gebäudes am Kirchturm hochschiebt.

Dieser geometrische Effekt, den man ständig sieht und schon gar nicht mehr wahrnimmt, ist so banal, dass man ihn eigentlich überhaupt nicht erwähnen müsste. Und dennoch ist er von großer Bedeutung, wenn man sich diesen simplen Vorgang bewusst wird und ihn für sich zu nutzen weiß. Jede Peilung in der Nautik, Geographie und im Beruf beruht auf diesem Prinzip, drei Punkte im Gelände miteinander zuvergleichen.

Maurer und Wegebauer können ein Lied davon singen, wenn der Architekt auf die Baustelle kommt, das mühevoll Errichtete kurz anvisiert und dann lakonisch meint, die Wand ist krumm oder der Weg bucklig.