KF-05 - Adria - Knochenarbeit gegen Wind und Wellen - Juni 2010

 

verfasst 2010 - geändertam 18.11.2011 

 

Das letzte Mal, als ich in einem Paddelboot saß, war 2006, also vor vier Jahren. Ich traute mir aber eine Überfahrten von rund 20 km am ersten Tag mit meinen fast 62 Lenzen ohne weiteres zu, hatte ich diese Passage bereits 2002 erfolgreich absolviert. Da war ich seit 30 Jahren nicht mehr in einem Kajak geses- sen und trotzdem verlief damals alles planmäßig. Warum sollte es heuer anders sein?

 

 

Bild 1: Vor dem Verstauen der Ausrüstung in den Kajak 

 

Meine Familie hatte mich, meinen Kajak und die Ausrüstung in Grado am Eingang des öffentlichen Stran- des abgesetzt und war wieder auf dem Heimweg. Ich verstaute mein Equipment im Kajak und schleifte das Boot über den Sand zum Wasser.„Hättest' doch alles bis zum Ufer tragen sollen, müsstest du dich jetzt nicht so abplagen“, schalt ich mich, als ich wieder verschnaufen musste. Der Kajak war so schwer beladen, das das Ziehen extrem anstrengte. Mit einem Seil, das ich am Heck des Kajaks befestigt hatte, wollte ich das Boot ganz locker zum Wasser ziehen. Aber es stellte sich heraus, dass das ein sehr müh- sames Unterfangen war. Ich schaffte mit einen einzigen Zug immer nur 20 keine Schritte, dann musste ich wieder eine Pause einlegen und ausruhen. 20 kleine Schritte, das waren maximal 10 Meter. Zum Meer musste ich aber bestimmt über 200 Meter zurücklegen. „Da bist du ja schon müde und kraftlos, bevor das Paddeln über- haupt los geht“, knurrte ich vor mich hin und zerrte den Kajak wieder ein Stückchen weiter. Als ich dann Schritt für Schritt und Zug um Zug mich dem Ufer näherte und der Sand feuchter und fester wurde, ging auch das Ziehen leichter. Und die letzten paar Meter bis zum Wasser, rutschte meine Last sogar fast von selbst „bergab“ und ich gewann wieder Zuversicht in mein Vorhaben.


Es blies der Schirokko oder auch Jugo genannt, aus Süden. Wind und Wellen standen also gegen mich mit 4 Beaufort, bereits zu 5 neigend. „Die 20 km schafft du doch locker“, sprach ich mir Mut zu, schlüpfte in den Kajak, schloss die Spritzdecke, ruckelte in das Wasser und paddelte los. Ich hatte ja ausreichend Zeit, den ganzen langen Tag.

Bei meiner ersten Überfahrt im Jahre 2002 wehte die Borav on Ost, also von der linken Seite, bei ähnli- cher Windstärke und ich erreichte den Leuchtturm ohne Probleme. Damals trieb mich die Strömung quer auf die offene See und ich musste sie mit einem abgeänderten Kompasskurs ausgleichen. Heuer lief die Drift direkt gegen mich, so dass keine Korrektur nötig war.

Langsam verschwand der Strand von Grado und die Gebäude schrumpften zu Bauklötzen zusammen. Nach rund ein bis zwei Stunden hatte ich mich wieder einigermaßen an den Kajak gewöhnt. Alles von meinen vorangegangenen Fahrten kam wieder in Erinnerung und ich bemerkte, dass ich einige Handgriffe schon wieder ganz unbewusst machte, ohne mich daran erinnern zu müssen. „Die Paddel-Routine ist ja schnell wieder eingekehrt“, kam es mir in den Sinn und war sichtlich vergnügt, dass es so gut lief, Ich trieb das Boot mit kräftigen Paddelschlägen vorwärts. Allmählich kam auch wieder die Freude am „Wasserrühren“ auf, alle Strapazen in der Frühe vom anstrengenden Bootstransport, eher vom kräfte-raubenden "Bootzerren" zum Wasser, waren vergessen. Der für mich jetzt erfreulichere Kampf gegen Wind und Wellen hatte begonnen.

Das erste Mal, es war zugleich meine erste „Seefahrt“ überhaupt, hatte ich die Sonnenbrille im Gepäck- netz verstaut. Bereits die ersten Brecher, die über den Kajak gelaufen waren, hatten meine Brille damals entsorgt und ich hatte keine Reservebrille dabei, was im weiteren Verlauf der Reise zu erheblichen Problemen mit den Augen geführt hatte. Heute war die Brille mit einer Schnur gesichert und hing lose auf der Brust. Jedes Mal, wenn das Wasser bis zum Kamin der Spritzdecke hochschwappte, erinnerte ich mich an mein Missgeschick vor 8 Jahren. „Poseidon, Du elender Gottdes Meeres! Du schaffst es heuer nicht, mir meine Brille zu klauen“, grinste ich in mich hinein, mit der Gewissheit, auch noch eine Reservebrille im Gepäck zu finden. Vermutlich fühlte sich aber der hiesige Gott des Meeres nicht angesprochen, denn in Italien war Neptun der Hausgott und für das Meer zuständig. Ich hingegen legte mich aber mit seinem griechischen Konkurrenten an.

Die Sonne brannte nun heiß. Aber durch Wind und Wasserspritzer kühlte der Körper angenehm ab. Bei extrem hohen Wellen erhielt ich eine Dusche, wurde aber noch nicht vom Wasser überdeckt. Nach und nach kam ich an das gegenüberliegende Ufer heran. Die Konturen den Berge wurden kräftiger, ein Funkmast war bereits auszumachen, an den ich mich fortan orientieren konnte, ohne ständig den Kompass beobachten zu müssen. Nach einiger Zeit entdeckte ich bereits Piran, die westlichste Ortschaft von Slowenien. Ein Stück weiter westlich musste sich das Kap Savudrija befinden, konnte es aber noch nicht sehen.  

 

 

Bild 2: Piran, ganz rechts außen im Dunst mein eigentliches Ziel, Kap Savudria 

 

Die Häuser von Piran waren nach rund 4 Stunden nun deutlich zu erkennen und lagen jetzt halb backbord vor mir. Im Dunst zeichnete sich auch mein Ziel, das Kap Savudrija an der Kimm ab.Sogar den Leucht- turm konnte ich mit ein bisschen Phantasie ausmachen. Langsam nahm die Deutlichkeit der Konturen zu. „Jetzt hast du das meiste der Überfahrt bereits geschafft“, frohlockte ich. „Bald bist du drüben.“

Je mehr ich mich aber an den Leuchtturm herankämpfte, um so langsamer wurde meine Geschwindigkeit und somit um so kürzer auch die zurückgelegte Strecke. Diese kontrollierte ich an der Silhouetten-Ver- schiebung der Berge querab oder der Höhen-Versetzung hintereinander gestaffelter Berge, Klippen oder Gebäude zueinander direkt vor mir. Es waren noch ungefähr 6 bis 7 km bis zum Leuchtturm, da stellte ich zu meinem Schrecken fest, dass ich in der Gegenströmung, über Grund bereits auf der Stelle paddelte, trotz meines immer noch kräftigen Paddelschlags. Jetzt erkannte ich, dass das Erreichen des Leucht- turms auf diesem direkten Weg völlig aussichtslos war und musste mein Scheitern eingestehen. Außer- dem machten sich bereits die ersten Konditionsschwächen bemerkbar.

Ursache dafür war die Form der Halbinsel von Istrien, die sich auf ihrer Westseite auf einer Länge von rund 90 km ziemlich genau von Süd nach Nord erstreckt und der kräftige Südwind die Wassermassen an ihr entlang nach Norden trieb, die sich dann wegen der Beugung in den Golf von Triest hinein auffächerten.

Jetzt musste ich schnell eine Strategie entwickeln, wie ich das Festland erreichen kann, ohne zu weit vom Leuchtturm abgetrieben zu werden.

Ich schaute mich um: Die kürzeste Möglichkeit war, in die Bucht zwischen Slowenien und Kroatien hineinzufahren, die zweite mit der Strömung weiter nach Osten abzufallen, um dann zu versuchen, in die windstille Bucht östlich von Piran in Slowenien zu gelangen. Die dritte, wegen der größeren zurückzu-legenden Strecke, schlechteste Lösung, aber immer noch eine mögliche Option, wäre gewesen, Richtung Triest zu paddeln und dann zu probieren außerhalb der Gegenströmung in der Nähe von Koper das slowenische Festland zu erreichen.

Hier muss ich anmerken, dass ich die Auskundung von Alternativen des Ausweichens während der Planungsphase grundsätzlich bei jeder größeren Überfahrt einer Bucht oder zu einer Insel anstelle - nach dem Motto: Was wäre, wenn ... und was könnte man dagegen tun, wenn das „wenn“ eintritt?

Der Plan 1 scheiterte, weil die Strömung noch zu stark war, Plan 2 war aber bereits erfolgreich und ich erreichte Piran kurz nach Mittag, als ich in der Bucht östlich der Stadt am Ufer entlang den felsigen Strand anlief. Ich fand eine schmale Durchfahrt, an der am Ende ein wenig Sand lag.

Ich bootete aus, um mir die Füße zu vertreten. Diese mussten sich erst wieder an den Kajak und die Steuerpedale gewöhnen, nach 4 Jahren Paddel-Abstinenz. Außerdem setzten langsam die ersten Ermüdungserscheinungen ein, die auf das „Anpaddeln“ nach der langen Zeit zurückzuführen waren.

Meine Frau hatte mir ein paar Schnitzel mitgegeben, von denen ich jetzt einen Teil mit Heißhunger verschlang und dabei ein ganze Flasche von dieser braunen Brühe leerte, die sich Cola nennt. Als Einstand sozusagen für die anstrengende, aber doch noch erfolgreich verlaufene erste Überquerung auf der heurigen Seekajakreise.

Die anschließende Weiterfahrt um Piran herum, und nach Kroatien hinüber war zwar wegen der Strömung und einsetzender Müdigkeit beschwerlich aber ohne Gefahren. Bei der erst besten Gelegenheit beendete ich meinen ersten Reisetag, allerdings ohne mein gestecktes Ziel erreicht zu haben (Kartendistanz 21 km und rund 40 km tatsächlich gepaddelt, davon einige im „Stand“). 

 

 

Bild 3: Mein erster Lagerplatz in Kroatien 

 

In einer kleinen Bucht mit Kiesstrand richtete ich mein Nachtlager her und genoss auf einem Steg beim Regenerieren meiner Gliedmaßen und Muskeln noch den Blick hinüber nach Piran und zurück nach Grado, das in der Nachmittagssonne noch gut zu erkennen war. 

 

 

Bild 4: Das Ausweichquartier vor einem Rohbau 

 

Weil es am späten Abend leicht zu regnen begonnen hatte und ich nicht sicher war, ob mein Nachtlager von der einsetzenden Flut, die im Nordteil der Adria bis zu einem Meter ansteigen konnte, verschont bleiben würde, verlegte ich meinen Schlafplatz unter die Veranda eines Rohbaus oberhalb des Strandes und zog den Kajak auf einen überschwemmungssicheren Platz. So wie es sich für einen Outdoor-Freak gehört, wird der Besitzer des Rohbaus nichts davon merken, dass da ein Kanute auf seinem Grundstück übernachtet hatte. Wie heißt unser Motto: „Verlasse den Lagerplatz so, wie Du ihn vorgefunden hast!“ Wenn Du nichts liegen lässt und nicht wie ein Vandale haust, wird sicherlich niemand etwas dagegen haben, dass Du für eine Nacht ein unbewohntes Grundstück zum Lagern benutzt. 

 

 

Bild 5: Abendrot - morgen wird es bestimmt schon werden. 

 

Der erste Tag war geschafft, die Eingewöhnphase überstanden. Alles war nach Plan verlaufen, wenn auch einige unerwartete Schwierigkeiten zu meistern waren. Die Position hatte ich mit meinem antiken GPS-Empfänger bestimmt, den ersten Eintrag in mein Uralt-Notebook geklopft und per Handy zu Hause meiner Frau die erste Position durchgegeben, die wohlbehalten mit unserem Sohn heimgekehrt war.

Guten Mutes kroch ich in den Schlafsack und es dauerte nicht lange, da war ich auch schon einge-schlafen.