KT-05 - Meine Meinung zum Eskimotieren
verfasst 2010 - geändert am 30.11.2011
Wenn ich mich jetzt hier über das Kentern und die Eskimorolle auf dem Meer auslasse, soll dieser Beitrag ausschließlich zur Sicherheit auf See dienen.
In vielen Posts in Paddler-Foren wird immer wieder gefordert, dass bei Seekajakfahrten unbedingt der Wiedereinstieg in den Kajak und die Kenterrolle beherrscht werden müssen.
Der ersten Forderung zolle ich absolute Berechtigung und unbedingte Priorität. Wenn man im Meer, zum Beispiel bei einer Überfahrt von einer Insel zur anderen, sich bei einem „unerwartet“ aufgekommenen Sturm schwimmend an den Rand des gekenterten Kajaks festklammert, bleibt einem nur eine einzige Möglichkeit: der Wiedereinstieg in den Kajak.
Solange man in einer Kentersituation sich noch mit einer Paddelstütze helfen und den zur Wellenfront „quer gelaufenen“ Kajak aufrichten und in dieser Position halten kann, muss dies unbedingt versucht werden, insbesondere, wenn die „Hohen Drei“ im Anrollen sind. Die „Hohen Drei“ nenne ich die drei höchsten Wellen in der Mitte einer Wellengruppe, die von einem vollbeladenen, schwer manövrierbaren Kajak möglichst senkrecht mit Bug oder Heck abgeritten werden sollten. Kommt es in so einer Situation zu einer Kenterung, sollte meiner Meinung nach, eine Eskimorolle gar nicht erst versucht werden, zumal wenn man sich auf einer Urlaubsfahrt mit vollem/überladenem Boot befindet.
Die Zeit und Kraft, die man für eine Rolle aufwenden muss und die oft sowieso nicht gelingt (Ich habe es bei meinen „Badegängen“ im Meer noch nie geschafft!), sollte man besser dazu nutzen, einen „kontrollierten“ Ausstieg vorzubereiten und durchzuführen. Zugegeben, das ist nicht sehr elegant. Weil aber nicht wie im Augsburger Eiskanal ein Publikum zuschaut, kann man ohne weiteres der Sicherheit den Vorrang geben.
In früher Zeit, als ich noch mit leerem schmalen „Wildwasser-Boot“ auf einem See gemütlich umher schipperte, hatte ich mir das „Eskimotieren“ selbst beigebracht und im ruhigen Wasser sogar beherrscht - nicht perfekt, aber es funktionierte (Ich glaube, es war die lange Rolle.). 45 Jahre später, mit schwer beladenem Seekajak eines Solofahrers, in grober See, mit starken Böen und ohne Zuschauer bevorzuge ich die weniger ästhetische aber wesentlich sicherere Methode des Wiedereinstiegs.
Für das Wiedereinsteigen benutze ich weder Paddelfloat noch das Paddel selbst, das treibt an der Sicherungsleine hängend irgendwo neben dem Kajak im Meer. Während der Phase der kurzen, niedrigen Wellen kippe ich das Boot, lasse möglichst viel Wasser aus der Sitzluke herauslaufen. Bei günstiger Beladung (der Wasservorrat ist weitgehend aufgebraucht, die leeren Plastikflaschen sind hinter dem Sitz fest eingekeilt) wird dadurch unter Umständen über die halbe Luke oder noch mehr entleert. Dann stelle ich den Kajak auf, mit der Öffnung nach oben. Ist man durchgekentert und unter Wasser ausgestiegen, kann man mit etwas Glück den Kajak auch ohne viel Wasser in der Luke aufrichten, wenn man beim Umdrehen schnell ist und keine Wellen mehr in die Luke schlagen.
Anschließend lasse ich wieder die „Hohen Drei“ passieren. Wenn sie nicht gerade brechen, kommt kaum zusätzliches Wasser in die Luke. Das Paddel richte ich mir inzwischen auf der anderen Seite des Kajaks her, damit es nicht verheddert ist.
In dem abklingenden und ruhigen Stadium zwischen zwei Wellenpaketen greife ich links und rechts in den Süllrand, ziehe mich hoch (eine kräftige Schwimmbewegung der Beine unterstützen dabei die Aktion) und lasse mich über die Luke fallen. Flach auf die Luke gepresst (Die Schnallen der Schwimmweste behindern nicht, da sie in die Luke hängen.) ziehe ich mich nach vorne zur Lukenspitze und schwinge den hinteren Fuß (der zum Heck zeigt) über den Kajak und lasse mich noch mit diesem Schwung unelegant mit dem Steiß (noble Bezeichnung des Hintern) in die Sitzluke auf den Sitz gleiten. Das gelingt vielleicht nicht gleich beim ersten Mal. Man hat aber noch soviel Kraft, die Prozedur in der nächsten ruhigen Periode zu wiederholen.
Bei einem unfreiwilligen Ausstieg im Jahre 2003 zwischen Kap Sounio und der Insel Kea in Griechenland kam ich erst nach dem 6. oder 7. Versuch in das Boot. Immer wieder wusch mich eine Welle in die See. Poseidon, der Meeresgott, kann da ungemein variabel, ideenreich und gehässig sein.
Sitzt man einmal im Kajak sollte es sehr schnell gehen. Hat man noch bis zu den nächsten hohen Wellen Zeit, die Spritzdecke zu schließen, kann man es versuchen. Meist ist es aber so, dass man in der Aufregung die Spritzdecke nicht sofort dicht bekommt. Ich habe mir deshalb angewöhnt, zunächst das Paddel zu sichern, damit ich den Kajak mit Bug oder Heck zu den Wellen ausrichten kann und schließe erst dann in der ruhigen Phase die Spritzdecke. Sollte eine Welle überkommen, ist zwar die Luke wieder voll Wasser, aber ich kann zumindest den Kajak in einer sicheren Position halten.
Ist die Spritzdecke geschlossen und der Kajak in die sicherste Position zu den Wellen gebracht, hat man bereits gewonnen.
Jetzt geht es an das Auspumpen des Kajaks. Mit der Fußlenzpumpe beginne ich, das Wasser aus der Luke zu pumpen. Es ist ein Vorteil, wenn die Steuerbeschläge an den Seiten des Kajaks angebracht sind, weil dann genügend Raum für die Füße zum Pumpen vorhanden ist. Wenn die Pumpe in der Mitte platziert ist, kann man abwechselnd beide Beine zum Pumpen benutzen. Dies war auch ein Kriterium, warum ich mich für den Kodiak von Prijon entschieden habe. Das dauert natürlich sehr lange. Wenn man bedenkt, dass meine englische Pumpe nur 0,1 Liter pro Hub bewältigt und das Gesamtvolumen der Sitzluke grob gerechnet rund 200 Liter beträgt, man durch Gepäck, Einbauten, Paddler zwar Wasser verdrängt aber immer noch bis zu 100 Liter Wasser ausgepumpt werden müssen, weiß man, was man dann bei entleertem Boot geleistet hat. Bei 100 Liter sind das mindestens 1.000 Pumpbewegungen. Schafft man je Sekunde eine Betätigung, müssen grob 16 Minuten anstrengenden Pumpens bewältigt werden.
Ich persönlich rechne bei einer Lukenentleerung lieber mit einer guten halben Stunde. Hat man sich schon einmal Gedanken gemacht, wie das mit einer Handlenzpumpe funktionieren kann: Bei hohem Wellengang zu pumpen und zugleich den Kajak mit dem Paddel auf Position zu halten?
Diese Methode des Wiedereinstieges bei einer Kenterung war für mich kaufentscheidend für die Wahl meines Kajaks und den zwingenden Einbau einer Fußlenzpumpe. Ich suchte speziell nach einem Boot mit langer Sitzluke (meine misst 95 cm), damit ich im Boot sitzend, meine Beine aus oder in die Luke bringen kann, das funktioniert mit meiner Körpergröße von 1,72 m sehr bequem. Ich komme zwar noch mit dieser Methode, je nach Sitzeinstellung, in die gängigen Luken von 85 cm der Seekajaks. Aber das bedarf schon einer speziellen Technik, die in Gefahrensituationen eventuell gefährlich werden kann. Versuchen Sie einmal in eine noch engere Luke, in die man nur mit einem Schuhlöffel, pardon: mit einer Paddelstütze, einsteigen kann, auf dem Meer bei hohem Wellengang hineinzukommen. Da hilft nicht einmal mehr ein Paddelfloat - oder doch? Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Da Küstenpaddeln auch mit Erholung, Vergnügen und Bequemlichkeit zu tun hat, halte ich eine große Sitzluke für die bessere Wahl. Meine Spritzdecke besitzt einen Quersteg. Da hat es noch kein über- rollender Brecher geschafft, sei es bei Sturm auf dem Meer oder in der Brandung, die Spritzdecke einzu-drücken.
Vielleicht erhalte ich jetzt von den eingefleischten „Eskimotier-Spezialisten“ wütende Zuschriften, aber Kajak-Freunde bitte bedenkt, die Inuits selbst fuhren in leeren Booten zum Jagen und ihre wenigen aber ausgeklügelt praktischen Jagdutensilien waren auf dem Oberdeck befestigt. Und wenn wir „zivilisierte Menschen“ uns jetzt noch einen schweren Seesack hinten auf den Kajak schnallen, um mehr Authentizität mit den Eskimos und ihrer Fahrpraxis zu erlangen, paddelten die Inuits nur mit einer federleichten Schwimmblase hinten auf dem Kajak, damit sie einen erlegten Seehund markieren konnten und er nicht unterging, wenn sie ihn hinter dem Kajak herziehend, an Land brachten.
Soweit meine etwas einseitigen Betrachtungen zum Thema Kentern. Die darin beschriebenen Techniken haben sich aber auf meinen Fahrten durchaus bewährt.
Natürlich kam in einem Forum der übliche Einwand eines Spezialisten, der mir die Kenterrolle empfahl, bestimmt gut gemeint, und mit dem Hinweis versehen, dass wahre Kajaker sowieso ohne oder nur mit geringer Decklast unterwegs sind.
Ihm schrieb ich folgende Antwort:
... An Deck habe ich auch nichts „aufgeschnallt“. Ich sah das mehrmals bei anderen Kajakern und wunderte mich, was die so alles dabeihaben müssen.
Höchstens ein aufgerolltes Seil befindet sich in meinem Gepäcknetz. „Wenig ist mehr!“ und ich habe im Beitrag KP-04 - "Die von mir verwendete Ausrüstung für Langfahrten" im letzten Absatz von Alexander Mackenzie erzählt, wie er seine Ausrüstung vor über 200 Jahren minimiert hat.
Das mit der Kenterrolle ist bei mir so eine Sache für sich. Wenn man eine Technik nicht beherrscht, muss man sich Alternativen zurechtlegen, um zum selben Ergebnis zu kommen.
In der Leichtathletik war für mich als Schüler der 1000-Meter-Lauf ein Horror und von mir gehasst. Gerade, dass ich einen einzigen Punkt bei den Bundesjugendspielen zustande gebracht hatte und dennoch erhielt ich jedes Mal eine Ehrenurkunde. Während meiner Bundeswehrzeit musste ich bei den Soldatenwettkämpfen 5000 Meter laufen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es zu regnen begonnen hatte und der Kompaniechef, der die Zeit abnahm, zu fluchen und schimpfen begann, weil ich noch als einziger auf der Aschenbahn war und die 5000 Meter gemächlich abwanderte. Vielleicht war auch ein wenig Trotz und Provokation dabei mit im Spiel. Bei der Überreichung der Urkunde, ich wurde in unserer Kompanie im Fünfkampf Zweiter, schüttelte der Hauptmann nur noch wort- und verständnislos den Kopf.
In Syvota in Griechenland lernte ich heuer in einer englischen Kajakschule zwei junge Schotten kennen, die dort als Lehrer arbeiteten. Beim 4. Bier im „Bamboo Place“, dem Stammlokal der beiden, meinten sie, sie würden mir morgen „the roll“ beibringen - kostenlos. Am nächsten Morgen versuchten sie es ... vergeblich. Wenn man eine Antipathie, gegen irgend etwas hat, ich weiß ehrlich gesagt auch nicht warum, dann funktioniert es einfach nicht, so wie beim Langlaufen. Am Abend, wieder in der Kneipe meinten die beiden dann frustriert: „OK, not the roll ... then you must sign off and get in again.“ (OK, nicht die Rolle ... dann musst Du aussteigen und wieder einsteigen). Zum Abschied überreichten sie mir eine Spritzdecke mit dem Emblem der Kajakschule als Geschenk, zur Erinnerung an die „Scots fellows in Greece“.
Es ist sehr nett von Dir, mich zum Erlernen der Eskimorolle zu animieren, aber ich glaube in meinem Alter, ich bin bereits jenseits der Sechzig, ziehe ich die Alternativen vor, insbesondere, wenn diese auch funktionieren und für mich einfacher zum Ausführen sind.
Trotzdem und darauf will ich hier jetzt explizit hinweisen, es ist auf alle Fälle sinnvoll, die Kenterrolle zu lernen und zu beherrschen - für denjenigen der noch die nötige Energie und den eisernen Willen dazu besitzt!