KR-16 - Vom Umgang mit der Obrigkeit auf dem Balkan - Teil 2

 

verfasst 2012 - geändert am 14.11.2012

 

Der zweite Teil über den Kontakt mit der Obrigkeit auf dem Balkan befasst sich mit „Bulgarien Nord“ an der Donau. Bulgarien war ein damals potentieller Anwärter auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, also ein weiteres osteuropäisches Land in Lauerstellung.

 

Bei Tagesanbruch empfing mich bereits an der Grenze zu Bulgarien das Einsatzboot der Polizei und geleitete mich ans bulgarische Ufer. Einer der Beamten nahm meine Personalien aus dem Reisepass auf, gab sie der Zentrale durch und forderte mich unmissverständlich auf, „nonstop“ bis zu der nächst größeren Stadt, nach Vidin, zum offiziellen Grenzübertritt zu paddeln. Dort müsse ich mich melden.

 

Also schipperte ich los, um die 50 km Flusslauf hinter mich zu bringen. Als Vidin in Sicht kam, war es mir schon wohler. An der Fähre nach Rumänien, kurz vor der Stadt, meinte ich, es sei bereits die Zollstation. Ich bootete aus und frage einen deutsch sprechenden Grenzer. Der sah erneut meine Papiere ein, telefonierte, kam nach einer ewig langen Zeit wieder zurück und erklärte mir, ich müsse direkt nach Vidin in den Hafen und dort alle Einklarierungsdetails erledigen. Hier sei die Zollbehörde nur für den Grenzverkehr „Bulgarien/Rumänien“ auf der Straße zuständig. Er wunderte sich, warum kein Vermerk von Serbien in meinem Pass war. Ich erzählte ihm, dass ich nirgends einen Grenzbeamten aufgetrieben hatte, der mir die Stempel in den Pass hätte drücken können. Anschließend fügte ich noch so nebenbei ein, dass ich zur Olympiade nach Athen paddeln wolle. Der Grenzer meinte daraufhin, ihm sei es ja egal, was die Serben machen, hier in Bulgarien geht das aber auf keinen Fall, hier herrsche Ordnung. Entsprechend dem Empfang an der Grenze musste ich ihm da absolut beipflichten.

 

In Vidin selbst rief mir ein Mann von einem Lastkahn aus zu, ich müsse hier zur Passkontrolle anlegen. Der Überwachungsstaat funktioniert in Bulgarien ausgezeichnet! Ich wurde bereits erwartet. Man wies mir eine Treppe zu und zwei Herren, ein Grenzer in Uniform, es war derjenige, der mich auf der Flussschute abgepasst hatte und ein älterer Herr im Anzug vom Zoll kamen, um mich abzuholen. Ich nahm meinen Kleidersack und folgte den beiden. Der Zöllner sprach ein wenig deutsch und proklamiert immer wieder die seit Ewigkeiten bestehende deutschbulgarische Freundschaft. Scheinbar war er noch ein Vertreter von der alten Garde.

 

Die Passabfertigung dauerte außergewöhnlich lange! Der Herr vom Zoll stellte die üblichen Fragen: Woher, wohin, eventuell Abstecher in das Landesinnere usw. Ich wurde einfach den Eindruck nicht los, dass es sich dabei nicht nur um Fragen über Zollformalitäten handeln würde. Anschließend übernahm eine resolute Beamtin in Uniform meinen Vorgang. Sie erklärte mir auf englisch, ich brauche ein Visum und das Kopfgeld betrage 20 US-Dollar (offiziell hieß das natürlich „Einreise- und Visumgebühr“). Als alle Papiere soweit fertig waren, kassierte die Dame 20 Euro und gab mir 5 Lewa heraus. Das war zur damaligen Zeit eine reelle Währungsumrechnung. Meine positive Erfahrung daraus: Die Bulgaren sind auch in dieser Angelegenheit ebenfalls sehr korrekt! Anschließend überreichte sie mir das Visum und ich erhielt eine Einführung in die bulgarische Grenzpolitik mit ihrem Flussanrainer Rumänien: Detailliert erklärte die Offizierin auf einer Landkarte, wo genau ich mich auf bulgarischem Gebiet bewegen darf. Im Prinzip war das auf der rechten Seite flussabwärts bis etwa zur Mitte des Stroms, allerdings mit Ausnahmen bei den einzelnen Flussinseln. „Das beste ist, Sie halten sich grundsätzlich an das rechte Ufer, dann befinden Sie sich immer auf unserer sicheren Seite“, gab sie mir mit einem breiten Lächeln den guten abschließenden Rat und ich überlegte lange, ob sie diese zweideutige Bemerkung rein zufällig oder mit Absicht hatte fallen gelassen. In Silistra müsse ich dann das Visum wieder abgeben, um einen Ausreisestempel in den Pass zu bekommen. Die ganze Prozedur dauerte über zwei Stunden.

 

Ein bisschen Paddelalltag: Bereits am ersten Tag in Bulgarien entschloss ich mich wieder für eine Nachtfahrt, weil durch die sumpfigen Auwälder die Ufer zum Übernachten nicht sehr einladend waren. An einer matschigen Stelle stieg ich nochmals kurz aus, versank sofort bis zu den Knien im Schlamm und unter der Anwesenheit zahlreicher sich auf ihr aufgetischtes Abendmahl freuenden Mücken, packte ich etwas zu Essen und zu Trinken vom Stauraum in die Sitzluke. Bei gelblich fahlen Sonnenuntergang machte ich mich weiter auf den Weg. Ab und zu aß ich eine Kleinigkeit und trank etwas. Die Nacht brach herein und meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Gerade wieder einmal beim „Brotzeiten“ bekam ich einen leichten Schlag gegen die Brust. Instinktiv griff ich in die Höhe und fühlte einen dicken Stamm, den ich dann krampfhaft umklammerte, während sich der Kajak langsam querlegte und gefährlich zur Seite kippte. Die Strömung der Donau hatte mich, ohne es zu merken, in Ufernähe getrieben, direkt in ein umgefallenes Baumskelett. Ich dachte schon: Jetzt liegst du im Bach!“ Weil ich die Knie noch in den Schenkelstützen eingeklemmt gehabt hatte, gelang es mir, das Boot mit der Hüfte wieder langsam gegen die Strömung aufzurichten. Nur ein paar Tropfen Wasser schwappten in die offene Luke. Mit Mühe konnte ich mit den Armen und den Beinen den Kajak erneut in die Strömung drehen und dann das Boot leicht von dem Ast nach rückwärts wegdrücken. Auf Tour hatte ich das Paddel grundsätzlich mit einer Leine gesichert, das konnte mir nicht davonschwimmen. Mit einer Hand holte ich es wieder an der Sicherungsschnur zu mir heran. Es hatte sich nicht einmal in dem Gestrüpp verheddert. Ich befreite mich aus der Gefahrenzone, indem ich mich geduckt unter dem Ast hindurchtreiben ließ. Da hatte ich großes Glück gehabt. Mit sehr gemischten Gefühlen setzte ich die Fahrt fort. „So leichtsinnig darfst du nicht mehr sein!“, nahm ich mir zu Herzen und ich hielt mich seitdem lieber mehr zur Flussmitte.

 

Zweimal kam ein Schubverband mir entgegen und einer überholte mich. Bei den großen Pötten paddelte ich während der Begegnung näher an das Ufer heran, so dass ich keinen behinderte. In der Nacht hörte ich ja die Motorengeräusche sehr weit, so dass ich rechtzeitig reagieren konnte. Scheinwerfer von den Kähnen die sonst das Ufer ableuchteten, strahlten mich kurzzeitig an, bis die Schiffsführer mich als Paddler erkannt hatten. Meist winkte ich dann zu dem Schiff hin über. Oft ging der Scheinwerfer auf und nieder als Antwort, einmal ertönte sogar zweimal kurz hintereinander das Horn - Flussschifferalltag, für sie reine Routine.

 

Lichter sah ich von Ortschaften und im Dunkel die Konturen der beiden Ufer. Es begann wieder zu regnen.

 

Es war sicher schon nach Mitternacht, als mich plötzlich ein Scheinwerfer von einem bulgarischen Grenzbeobachtungsturm von der rechten Seite erfasste, als ich ihn passiert hatte. Der Lichtstrahl verfolgte mich dann ununterbrochen. „Die Jungs sind aber hellwach!“, dachte ich bei mir, fuhr aber weiter. Nach einer Zeit flammte vor mir ein weiterer Scheinwerfer auf, der die Donau absuchte. „Die Meldung ist vorangegangen“, waren wieder meine Gedanken. Der Scheinwerfer fand mich und leuchtet mir quasi den Weg aus, während der Lichtkegel hinter mir zum Glück wieder erlosch.

 

In diesem kurzen Augenblick, als die beiden Strahlenbündel auf mich gerichtet waren, erinnerte ich mich mit Schaudern an die Kriegsfilmaufnahmen, wenn mehrere Flackstellungen ein feindliches Flugzeug entdeckt hatten. Zum „Schifferlversenken“ würde bei mir schon ein Maschinengewehr mit Leuchtspurmunition ausreichen und nicht einmal eine leichte 2-cm-Flak nötig sein.

 

Ich versuchte die Blendung mit der flachen Hand etwas abzumildern. Das musste der Beobachter bemerkt haben, denn der Lichtkegel verschwand aus meinem Gesicht und blendete mich nur noch gelegentlich, wenn der Grenzsoldat sich vergewisserte, wo ich mich gerade befand. Allerdings hielt er wieder voll auf mich d'rauf, als ich an seinem Standort vorbeigepaddelt war und ich den Scheinwerfer im Rücken hatte.

 

Nach der nächsten Übernahme bemerkte ich, wie sich vom Ufer ein Boot löste und sich auf mich zubewegte. „Kontrolle, naja, was soll's, ist eine Abwechslung in dieser tristen verregneten Nacht.“ Blaulicht flackerte auf und der Bootsscheinwerfer strahlte mich an. Ich legte demonstrativ das Paddel auf das Boot, um zu signalisieren, dass ich wartete, bis sie herangekommen waren. Auf englisch verständigten wir uns. Ich erklärte, ich müsse aussteigen, um an den Pass und das Visum zu kommen. Scheinbar hatte das Wort „Visum“ irgendwie etwas Positives, bereits „offiziell Beglaubigtes“ bewirkt, denn der Bootskommandant bat mich sehr höflich, mit ihnen rund einen Kilometer zu ihrem Stützpunkt zurückzufahren, dort wäre die beste Möglichkeit für mich anzulanden und auszusteigen. Das Motorboot fuhr sehr langsam, so dass ich in der zweiten Heckwelle bequem hinterherpaddeln konnte. An einem kleinen Strand zog ich das Boot an Land und zeigte meine Papiere her. Hohe Laubbäume hielten den Regen ab. Sogar die beiden Männer stiegen vom Beobachtungsturm herunter und sahen sich interessiert meinen Kajak an. Bei ihnen bedankte ich mich, dass sie mir nicht ständig in die Augen geleuchtet hatten, was sie nach der Übersetzung meines Lobs durch den Kommandanten mit ersichtlicher Genugtuung aufnahmen. Alle Papiere waren in Ordnung und wir unterhielten uns noch eine Weile völlig ungezwungen: Nachtfahrt, weil ich keinen geeigneten Platz zum Schlafen gefunden hatte, alles versumpft ... nein hier können Sie nicht übernachten, ist militärisches Gebiet ... ja, wir haben bereits auf Sie gewartet ... soso zu den Olympischen Spielen in Athen wollen Sie ... jetzt ist es kurz nach ein Uhr und wir befinden uns beim Stromkilometer 724 und ... keine Kontrolle mehr in dieser Nacht... ganz bestimmt werde ich auf den Schiffsverkehr aufpassen, wenn ich ohne Beleuchtung paddle ... wünschen noch eine gute Reise ...danke und ihnen in dieser Nacht keinen weiteren Paddler mehr, den Sie kontrollieren müssen ... nein, ist keiner mehr gemeldet! Das war also die Nacht-Patrouille der Bulgaren, alle nette Kerle - wenn natürlich die Papiere in Ordnung waren. Bei Regen setzte ich meine Fahrt fort. Es war trist und die Kälte und Müdigkeit traten ein. Langsam, ganz langsam kam die Dämmerung, es tröpfelte noch immer. "Bei der nächsten Gelegenheit gehst du an Land", entschloss ich mich und ich werde einen Ruhetag einlegen.

 

Die Weiterfahrt am übernächsten Tag verlief fast reibungslos. Nur als ich eine weite Linkskurve bei einer größeren Insel abkürzen wollte, ertappte mich kurz vor Beendigung der Durchfahrt wieder die rumänische Grenzpolizei, dieses Mal in einem Militärschlauchboot. Während der Fahrt durch die Passage hatte ich aufgeregte Stimmen von der Insel her gehört, aber nicht weiter darauf geachtet. Vermutlich wurde von dort aus die rumänische Grenzwache per Handy informiert. Ich musste aber nicht an Land paddeln, sondern die Beamten forderten mich nur auf, meinen Namen, den Wohnort und das Land in ihr „Gäste-Buch“ zu schreiben, was ich auch pflichtgemäß tat. Ich stellte mich dumm und erklärte, ich hatte gedacht, die Insel gehöre zu Bulgarien. Alles war wieder geregelt. Die Grenzer verabschiedeten sich sehr freundlich und ich winkte ihnen noch einmal von der bulgarischen Donauseite aus zu. „Bei der Einreise nach Rumänien bin ich gespannt, was da alles bei der Passkontrolle auf mich zukommen wird“, kam es mir in den Sinn und ich malte mir das entsprechende Szenario aus.

 

Nicht viel Aufregendes an den weiteren Tagen. Nur einmal beim Frühstücken im Boot bei einer kleinen Ortschaft, an der ich mich vorbeitreiben ließ, kontrollierten die Bulgaren. Hier waren es die Jungs von der Ortspolizei, die meine Papiere sehen wollten und ich musste ausbooten. Als ich alles vorgezeigt und der Kontrolleur keine Abweichung festgestellt hatte, verabschiedeten sie sich sogar mit Handschlag. Vermutlich hatten sie Langeweile und suchten nur eine kleine Abwechslung. Einen Kajaker der bis nach Athen und noch weiter paddeln möchte, trifft man ja nicht alle Tage.

 

Am Nachmittag bemerkte ich gerade noch rechtzeitig, dass sich die rumänischen Grenzer bei einer Insel, natürlich wieder in einer Linkskurve, die ich hätte abkürzen können, mit ihrem Boot gerade auf die Lauer legten. Ich beobachtete als ich mich dem kleinen Eiland näherte, wie der Bug des Grenzwachbootes rückwärts hinter der Landzunge an der flussabwärts gerichteten Seite der Insel verschwand. Scheinbar war mein lockeres Verhalten an die nächsten betroffenen Stellen auch links vom Fluss weitergegeben worden. Aber ich ließ mich jetzt nicht mehr auf solche Experimente ein. Strickt paddelte ich nahe dem bulgarische Ufer entlang, winke dem Boot der rumänischen Grenzpolizei zu, das beim Vorbeipaddeln nun in voller Größe zu sehen war (Die Besatzung erwartete mich ja auf der anderen, rumänischen Seite.) und fuhr dieses Mal sogar mit gutem Gewissen weiter.

 

In Silistra bekam ich den Ausreisestempel, nachdem ich mein Visum abgegeben hatte. Entsprechend der „Hektik auf dem Balkan“ dauerte es zwar eine längere Zeit, bis alles erledigt war, ging aber ohne formalistische Schwierigkeiten vonstatten. Wenn man aber ungeduldig geworden wäre und zu drängeln begänne, hätte dann die Obrigkeit so eine Prozedur in der südöstlichen Region Europas womöglich absichtlich noch etwas in die Länge gezogen. „Willst Du schnell weiterkommen, übe Dich in Geduld!“, hieß so eine Devise in diesem Abschnitt der Welt und auch ich musste diese Erfahrung ein paar Tage später machen. Anschließend paddelte ich die verbliebenen 1,5 km bis zur Grenzstation in Rumänien.

 

Was ich in Rumänien mit den Gesetzeshütern alles erlebt habe, schildere ich in meinem nächsten Bericht.