KW-05 - Einschätzung von Wind und Wellen anhand von Landkarten

 

verfasst 2012 - geändert am 31.01.2012

 

Am Beispiel des Vänern in Schweden

 

Mehrere Beiträge in den Outdoorseiten befassten sich mit dem Nautik-Material mit dem man den Vändern in Schweden bereisen beziehungsweise bepaddeln kann. Es wurde auch behauptet, dass auf dem Vänern Wellen auftreten, die ähnlich hoch sind wie auf dem Meer. Dabei ergriff ich die Gelegenheit und demonstrierte, was man alles über die Wind- und Wellen-Verhältnisse allein an Hand von Landkarten mit dem erarbeiteten Wissen und der gewonnen Erfahrung aussagen kann und stellte folgenden Beitrag ein:

 

Eure Einschätzung, dass auf den Vänern bei einem Sturm Wellen auftreten, die „Meeresqualität“ erreichen, kann ich eigentlich nur bestätigen! Schon ein flüchtiger Blick auf die Landkarte zeigt mir dies:

 

Der Vänern erstreckt sich in Süd-Nord-Richtung über eine Länge von rund 80 km. Die höchsten Erhebungen im Südwesten (Richtung Göteborg) erreichen eine maximale Höhe von etwa 100 m (am Westteil des Vänern). Bei einem Seespiegel in 40 m Höhe leistet die Landmasse (60 m höher als der Seespiegel) dem Wind kaum einen Widerstand, insbesondere wenn er aus Südwesten bläst.

 

Ein Wind aus Westen wird von einer Land-Barriere (Meereshöhe rund 170 m) von etwa 130 m (auf die Seehöhe von ca. 40 m bezogen) auch kaum aufgehalten. Der Vänern ist in West-Ost-Richtung bis zu den Halbinseln ca. 40 km breit und insgesamt ca. 75 km. Die Halbinseln bieten dem Wind aus Westen mit einer Höhe von etwas 10 m kaum einen Widerstand.

 

Mit diesen groben Grunddaten kann ich sehen, dass dem Wind ein Fetch in Süd-Nord-Richtung von 80 km und in West-Ost-Richtung von 40 km (Westteil) und nochmals von etwa 35 km (Ostteil) zur Verfügung steht. Als Fetch bezeichnet man die Strecke, in der der Wind auf die Wasserfläche einwirken kann. Er wird mit „Windlauflänge“ oder auch nur als „Wirkweg“ übersetzt. Je länger der Wind über eine Wasserfläche streicht, um so mehr kann er auf das Wasser einwirken und entsprechen höher und auch länger werden die Wellen. Im Beitrag KF-03 - "Stürmische Überfahrt nach Spetse am Peloponnes - 2006" habe ich eine Fahrt über eine Bucht beschrieben, bei der ein Fetch von rund 50 km die Wellen bereits so hoch werden ließ, dass ich nicht mehr über die Wellenkämme schauen konnte, wenn ich im Wellental angelangt war.

 

Ich kann mir gut vorstellen, dass am Ende des Fetches, also bei Westwind an der Ostküste der beiden Halbinseln und an der Ostküste des östlichen Teils des Vänern und bei Südwestwind im nördlichen Küstenbereich ganz schön was an Wellenschlag geboten wird. Da könnte es bei einem richtigen Sturm schon zu meterhohen Wellen, eventuell sogar zu Brechern (6 Bft), kommen.

 

Eine Besonderheit ist auch das Gebiet zwischen den beiden Halbinseln. Weil die Höhe der Halbinseln nicht allzu groß ist, wird man bei Westwind nur eine relativ „sanfte“ Düsenwirkung bemerken. Anders dagegen sind die Wassermassen zu beurteilen, die durch die Wellen verursacht und von der Form der Halbinseln zur Mitte hin abgelenkt werden (Wellen-Refraktion). In dem Bereich der Durchfahrt kann es zu Kabbelwasser kommen. Das ist besonders unangenehm, weil man sich nicht auf eine einzige Wellenfront einstellen kann.

 

Weiter könnte es auch bei kleinen, rundgeformten Inseln vorkommen, dass die Wellen hinter der Insel, also im Lee, zusammenlaufen und dort noch höhere Wellen entstehen, wenn zwei Wellenberge aufeinander stoßen, insbesondere in den Bereichen, in denen der maximale Fetch angreifen kann.

 

Wenn Ihr mehr über Wind und Wellen wissen wollt, könnt ihr Euch in dem Beitrag KW-02 - "Wellen auf dem Meer und an der Küste" weiter informieren.

 

Liebe Vänern-Freunde, diese Auswertung habe ich als Unkundiger auf die Schnelle aus der Landkarte herausgelesen. Mich würde sehr interessieren, ob ich mit meiner groben Einschätzung einigermaßen richtig liege. Vielleicht können die „Sturmgeplagten des Vänern“ über ihre Erfahrungen plaudern.

 

Ein Forumsmitglied bestätigte daraufhin zwar die hohen Wellen auf dem offenen See, erklärte aber gleichzeitig, dass er im und hinter dem Schärengürtel ohne weiteres eine Durchfahrtmöglichkeit auch bei Sturm finden könne.

 

Ihm antwortete ich folgendermaßen:

 

Inseln, Schären usw. verhalten sich praktisch wie Wellenbrecher. Wenn sie in einer solchen Vielzahl auftreten, wie bei den Schären, kann man nicht mehr vorhersagen, wie sich die Wellen in der zweiten oder dritten Reihe verhalten (Kabbelwasser!). Ich gebe Dir auf alle Fälle recht, in Küstennähe eine einigermaßen passable Durchfahrt zu finden, die von den hohen Wellen auf offener See, in diesem Fall besser: auf dem offenen See, nicht betroffen sind.

 

Mit meiner Darlegung wollte ich eigentlich nur demonstrieren, was man alles aus einer normalen Landkarte, mit etwas Wissen und einer guten Portion Erfahrung bei der Planung einer Tour herauslesen kann.

 

Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der Winde/Stürme an Land und im Gebirge betrifft und meines Erachtens wichtig ist, zu wissen:Es gibt zwei Erscheinungsformen, die die Beaufort-Skala beschreiben, die eine von den Erscheinungsbildern auf offener See, die andere von den Erscheinungsbildern an Land. Siehe dazu auch meinen Beitrag KW-03 - "Beaufort-Skala, einmal nicht in Tabellenform".

 

Während sich die Erscheinungsbilder zur Bestimmung der Windgeschwindigkeit auf hoher See ausschließlich auf die Wellen-Höhe, -Länge und -Form beziehen, müssen an Land andere Erkennungsmerkmale angewendet werden. Grund: Durch die Geländeform an Land, insbesondere im Gebirge, treten ganz andere Bedingungen zu Tage als auf hoher See mit dem langen Fetch. Hier spielen Düseneffekte, Windablenkung und relativ kleine Wasserflächen eine sehr große Rolle. Da kann es ohne weiteres vorkommen, dass bei kleinen, kurzen Wellen, die auf dem Meer vielleicht mit 2 Beaufort bezeichnet werden, auf einem Gebirgssee bereits 6 bis 7 Beaufort, eventuell auch mehr, beinhalten und man bei Gegenwind ganz einfach zurückgetrieben wird. Das habe ich als Jugendlicher auf dem Tegernsee bei aufkommendem Föhnsturm sehr oft erlebt. Bitte in diesen Fällen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

 

Der Vänern mit seiner großen Wasserfläche bildet da sicherlich eine Kombination aus beiden Erscheinungsbildern. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die Merkmale von Meer und Land in diesem konkreten Fall nahezu decken. Interessierte sollten einmal bei einem Sturm auf den Vänern die beiden Erscheinungsformen miteinander vergleichen und wenn möglich sogar mittels eines „Windmessers“ die wahre Windgeschwindigkeit und die daraus resultierenden exakten Beaufort-Werte ermitteln. Bezieht Euch aber bitte bei den Wellenbildern auf den „offen“ See (Standort auf einer der Außeninseln, an der die Wellen nach einer Aufbaustrecke über den ganzen See auftreffen) und nicht auf die Wellenformen im Windschatten der Schären.